Andreas Greiner, Takafumi Tsukamoto und Diogo Vale

Neopteryx

Für den Neubau des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) am Standort Mecklenhorst wird eine Reliefskulptur mit dem Titel Neopteryx im Eingangsbereich der Laborspange vorgeschlagen. Neopteryx soll die Besucherinnen und Besucher der Liegenschaft willkommen heißen, thematisch auf den Forschungsbau verweisen und zur Reflexion anregen.

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Das Relief auf den Jura-Kalksteinblöcken imitiert die Pose und das Gebärden eines versteinerten Archaeopteryx (nach dem sogenannten Berliner Exemplar). Dies ist eine bewusste Täuschung. Tatsächlich zeigt das Relief ein neu arrangiertes Skelett eines überproportional vergrößerten Masthuhns. Die Darstellung der überdimensionierten Hühnerknochen macht die anthropogene Gestaltung der tierischen Natur überdeutlich sichtbar. Um Darwins Evolutionstheorie zu belegen, war der Fund des Archaeopteryx von großer Bedeutung. Dieser Urvogel hatte Federn wie ein Vogel, aber Zähne, Krallen und einen knöchernen Schwanz wie ein Dinosaurier. Thomas Henry Huxley postulierte im Jahr 1868, dass der Archaeopteryx eine evolutionäre Verbindung zwischen Dinosauriern und Vögeln aufzeige. Bis dahin waren keine Zwischenformen zwischen lebenden Tieren und ihren vermeintlichen Vorfahren bekannt. Hühner im Allgemeinen gelten als evolutionsgeschichtlich alte Vögel, mit einer verblüffend großen Deckung der genetischen Information zu ihren Ahnen, den Dinosauriern und dem Urvogel Archaeopteryx. Das moderne Masthuhn hingegen ist eine anthropogen geprägte Tierart, die an die Bedürfnisse der Lebensmittelindustrie angepasst wurde und dazu dient, den Menschen mit Fleisch zu versorgen. Es ist so gezüchtet, dass es schnell wächst. Es hat ungewöhnlich hypertrophe Beinknochen, um das Gewicht des an dem Brustbein haftenden Fleisches tragen zu können. Diese Merkmale lassen sich an dem Skelett eines Masthuhns ablesen und sind für den informierten Betrachter oder Betrachterin zu erkennen. Der kulturelle Fortschritt des Menschen ist eng mit der Fähigkeit, Land zu bewirtschaften und Tiere zu domestizieren, verbunden. Ab dem Zeitpunkt, an dem der Mensch gezielt Ackerbau und Viehzucht betrieb, entstanden Siedlungen, Städte und Zivilisationen – Menschen wurden sesshaft. Der Mensch passte sich an die Tiere an, die nicht mehr gejagt, sondern kontrolliert gehalten wurden. Durch gezielte Zucht passte sich auch die Anatomie dieser Lebewesen an die Bedürfnisse der Landwirtschaft an. Der künstlerische Entwurf würdigt die Bedeutung von landwirtschaftlichen Nutztieren für die menschlich-kulturelle Entwicklung. Gleichzeitig verweist er auf die Gestaltung der nicht-menschlichen Natur durch den Menschen. Durch diese vielschichtige Verschränkung der unterschiedlichen Bedeutungsebenen kann sich das FLI mit einem reflektierten Blick auf die Geschichte der Nutztierhaltung präsentieren. Neopteryx setzt somit den Wissenschaftler*innen, die an der Zukunft der Nutztierhaltung forschen, als auch den jahrhundertelang gezüchteten Nutztierarten einen Gedenkstein. Trotz des komplexen Ansatzes erlaubt die Skulptur eine unmittelbare ästhetische Zugänglichkeit für jeden Besucher und jede Besucherin.