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Ellen Möckel - „Zonenwechsel“ 

Konzept: Mein Beitrag mit dem Titel »Zonenwechsel« thematisiert das Zusammenspiel von Entwicklungsspielraum, Grenzen, Verantwortung und Struktur in gesellschaftlichen Systemen. Im Zentrum dieses Kunst-am-Bau-Projekts steht die Frage, wie Systeme gedacht werden müssen, um nachhaltig zu bleiben – nicht als starre Gebilde, sondern als dynamische und veränderbare Strukturen, die zugleich Verantwortung und Gestaltungsfreiheit miteinander in Beziehung setzen. Die künstlerische Arbeit versteht sich als visuelle Reflexion über die Nutzung und Struktur eines sozialen und pädagogischen Raums – dem Campus und dem neuen Lehrgebäude. Dabei wird der Campus nicht nur als funktionaler Ort, sondern als symbolischer Raum verstanden, in dem gesellschaftliche Vorstellungen, individuelles Verhalten und kulturelle Narrative aufeinandertreffen.

Ort und Geschichte – Kontextualisierung als Zueignung
Die Verankerung des Werks am Standort erfolgt über eine bewusste Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Dimension der Hansestadt Rostock und insbesondere mit dem literarischen Werk von Uwe Johnson, dessen Nachlass in Rostock verwahrt wird. Johnson, der in Mecklenburg geboren wurde, widmete sein Schaffen den Verschiebungen politischer Systeme und ihrer Wirkung auf das individuelle Leben. Seine Texte operieren mit Perspektivwechseln,
fragmentarischer Struktur und sprachlicher Uneindeutigkeit – Eigenschaften, die die Gleichzeitigkeit von Ordnung und Ambivalenz verhandeln.
Das Werk nimmt diesen Denkansatz auf: Wie lässt sich ein System so gestalten, dass es Offenheit nicht verhindert, sondern fördert? Wie können Regelwerke als etwas Lebendiges gedacht werden? Die künstlerische Auseinandersetzung will keine Antworten geben, sondern Denkprozesse anstoßen – und fordert die Betrachter ähnlich wie Johnsons Prosa dazu auf, selbst aktiv zu deuten und zu verbinden.

Zwei Räume – zwei Aspekte des Systems
Das Kunstwerk gliedert sich räumlich und konzeptuell in zwei Teile, die die zwei Seiten eines funktionierenden Systems thematisieren:
Im Hauptfoyer, dem Zugang zur Mensa und Rezeption, steht die visuelle Gestaltung von Nutzung und Gebrauch im Vordergrund. Es ist der Ort, an dem Bewegung, Alltag und unmittelbare Lebensrealität sichtbar werden. Hier geht es um das Verhalten im System – die Freiheit innerhalb gesetzter Strukturen.
Im Nebenfoyer, das zu den Lehrräumen führt, wird das Regelwerk sichtbar gemacht – als Sammlung impliziter und expliziter Rahmenbedingungen, die Bildung und Gemeinschaft ermöglichen. Hier geht es um das, was nicht direkt gesehen, aber strukturell wirksam ist: Leitlinien, Normen, Ordnungen.
Das Auditorium dazwischen bildet nicht nur architektonisch die Verbindung zwischen Haupt- und Nebenfoyer, sondern steht sinnbildlich als Synapse zwischen zwei Polen – Orte, die sowohl untrennbar miteinander verwoben sind und dennoch Spannungen erzeugen.

Der Gürtel – Symbolik und Struktur
Beide Arbeiten in den Foyers werden durch ein zentrales, durchgehendes Symbol verbunden: den Gürtel. Als Metapher ist der Gürtel reich an Bedeutungen: Er steht für Ordnung, Disziplin, Schutz, Verbindung und Begrenzung. Er schafft Gleichgewicht und ist zugleich flexibel – eine geschlossene Form, die zusammenhält, und eine bewegliche Linie, die sich öffnen, anpassen, weiten lässt. In dieser Ambivalenz liegt seine Kraft: Der Gürtel verweist auf den Kreislauf des Lebens ebenso wie auf die Notwendigkeit der Gebundenheit in sozialen Zusammenhängen.
In der künstlerischen Umsetzung wird der Gürtel nicht als dekoratives Element, sondern als tragendes, verbindendes Motiv eingesetzt – als strukturelles Leitbild, das in beiden Foyers in unterschiedlicher Weise sichtbar wird. Er zieht sich als grafisches und materielles Element durch beide Wandarbeiten, durchbricht Grenzen und schafft gleichzeitig neue Bezüge.

Bildstruktur – Fragment, Perspektive, Montage
Die gestalterische Umsetzung orientiert sich stark an der Arbeitsweise Uwe Johnsons:
Die Werke sind nicht linear aufgebaut, sondern fragmentarisch, mit Verschachtelungen und Einschüben, die eine eindeutige Rezeption stören, verlangsamen und öffnen. Es entstehen Bildräume, in denen sich mehrere Perspektiven überlagern – optisch, inhaltlich und materiell. Einzelne Bildelemente greifen ineinander, ohne sich vollständig zu verbinden. Zwischenräume entstehen bewusst –sie sind Leerstellen für Interpretation.
Materialien werden kombiniert und kontrastiert, dokumentarische Versatzstücke werden montiert mit gezeichneten, persönlichem Kommentar, sodass sich ein visuelles Geflecht aus Weltgeschehen und individueller Erfahrung ergibt. Dabei wird immer wieder die Frage gestellt: Wie beeinflusst das große Symbol – der Gürtel – die kleinen Bildfragmente? Was bleibt im Zugriff des Systems – und was ist Ausdruck individueller Freiheit?
Die formale Gestaltung orientiert sich an der Vielschichtigkeit von Sprache, wie sie Johnson entwickelt hat: Es gibt keine klare Lesart, sondern eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten. Man muss zwischen der Form der Bildelemente an sich und der Interpretation der dargestellten Bildelemente unterscheiden. Die Arbeiten fordern den Betrachtenden heraus, aktiv mitzuarbeiten, Verbindungen herzustellen, Bedeutungen zu konstruieren – nicht als Selbstzweck, sondern als Anregung zur Reflexion über das eigene Handeln im Gefüge eines größeren Systems.

System als Spannungsfeld
Abschließend lässt sich sagen: In einer Zeit, in der gesellschaftliche Ordnungen auf vielen Ebenen neu verhandelt werden, bietet die Werkgruppe »Zonenwechsel« eine visuelle Einladung, zur Auseinandersetzung – mit Neugier, mit kritischem Blick, aber auch mit dem Vertrauen, dass Kunst Räume öffnen kann, wo Sprache an ihre Grenzen stößt.

Ellen Möckel - „Zonenwechsel“

Visualisierung: Ellen Möckel