Martin Binder - "interspecies relationships"

Konzept: Pilze verfügen über dicht verzweigte sogenannte „Myzel-Strukturen“, ein unterirdisches Geflecht von fadenförmigen Zellen, das es ihnen erlaubt über kilometerweite Strecken Informationen weiterzugeben und so unter anderem auch die Kommunikation zwischen Bäumen zu ermöglichen, mit denen zahlreiche Pilze in Symbiose leben. Das Sammeln, Strukturieren und Weitergeben von Informationen ist auch eine zentrale Aufgabe des Bundesamts für Strahlenschutz. Die Kunst am Bau ist Sinnbild dafür.

Pilzstrukturen können durch ihre umfassende Verflechtung auch für die Ökosysteme der Erde stehen und ihre Komplexität und Vernetzung verdeutlichen. Somit verweist der Entwurf „interspecies relationships“ auf die Verantwortung, die wir Menschen gegenüber der Umwelt und allem Leben auf dem Planeten haben. „Natur“ wird häufig nur als Ressource für das Stillen menschlicher Bedürfnisse gesehen. Der Mensch wird durch seine massiven Eingriffe in die Ökosysteme zum bestimmenden Faktor und verändert die natürliche Umgebung radikal und langfristig. „Natur“ ist nicht viel mehr als nützlicher Rohstoff, Ökosystemleistung oder Naherholungsgebiet. Der Begriff „Anthropozän“ beschreibt diese Haltung gegenüber der Umwelt, die sich auf den Nutzen für den Menschen fokussiert. Die globalen Zusammenhänge werden bereits immer deutlicher – die Folgen menschlichen Handelns für Klima, Umwelt und Biodiversität sind vielerorts unmittelbar erlebbar.

Die Kunst am Bau lenkt den Blick auf die untrennbare Verflechtung allen Lebens auf der Erde. Dafür sind Pilze ein passendes Sinnbild: das größte Lebewesen auf der Erde ist ein Pilz, dessen Myzel-Netzwerk ca. neun Quadratkilometer misst und ein geschätztes Gesamtgewicht von ca. 7,5 Tonnen hat.

Die Pilze im BfS stehen aber auch als Symbol für die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und erinnern an die Hintergründe der Einrichtung des Bundesamts für Strahlenschutz. Sie verweisen auf die Folgen der Katastrophe und konfrontieren uns mit Fragen zu Verantwortung und Technikfolgen sowie insbesondere mit der Frage, welche Welt wir zukünftigen Generationen hinterlassen wollen und werden. Denn noch immer sind heimische Pilzmyzele nach dem Unglück teils stark mit radioaktiven Cäsium-137-Isotopen belastet. Die Fruchtkörper der Pilze werden von Menschen und Wildtieren zu sich genommen. Die Auswirkungen von damals reichen weit in die Gegenwart und Zukunft hinein. Die Überwachung der Umweltradioaktivität durch das BfS, unter anderem anhand von Messungen an Pilzen, ist eine der Aufgaben der Institution. Anhand der Reaktorkatastrophe wird aber auch die Resilienz der Tier- und Pflanzenwelt deutlich, die sich seit dem Unglück im Jahr 1986 regeneriert hat: im Sperrgebiet rund um den Reaktor haben sich Wildtiere wie Elche, Füchse, Adler und Wölfe zahlreich vermehrt und auch die Flora scheint sich zu erholen, obwohl die Strahlenbelastung hoch bleibt. Die weitaus größere Bedrohung für die Wildtiere jedoch – das folgt aus den Beobachtungen rund um Tschernobyl – ist der Mensch. Hört er auf, die Tiere zu jagen und ihren Lebensraum zu zerstören, erholen sich die Bestände.

In den Aufenthaltsbereichen des BfS sind verschiedene Pilzsorten als Furnierintarsien präsent. Die meisten von ihnen sind Speisepilze, aber auch ein Knollenblätterpilz ist darunter, der für Menschen hochgiftig, für einige Tiere wie beispielsweise Schnecken jedoch fester Bestandteil ihrer Ernährung ist und wichtige Funktionen im Ökosystem erfüllt. Der Entwurf möchte auf den Einfluss des Menschen auf die Ökosysteme eingehen, in die wir eingebettet sind und von denen wir mit Leib und Leben abhängen.

Für die Holzintarsien werden heimische Hölzer ausgewählt, wie beispielsweise Buche, Eiche, Fichte, Tanne, Esche, Erle, Ulme, Ahorn, Birke. Denn die heimischen Waldböden sind teilweise noch immer stark mit Cäsium-137-Isotopen kontaminiert und werden dies noch sehr lange bleiben, da die Isotope nur langsam in tiefere Schichten des Waldbodens wandern.

Der Entwurf ist mahnende Erinnerung einerseits an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und ihre verheerenden Folgen. Andererseits ist er hoffnungsvolles Sinnbild für die Resilienz der Ökosysteme. Die Arbeit „interspecies relationships“ erinnert daran, dass der Mensch nicht über der Natur steht, sondern Teil von ihr ist – und in ganz besonderem Maß Verantwortung für einen verträglichen Umgang mit der Umwelt trägt.

Im vorhandenen Kostenrahmen kann einer der beiden dargestellten Standorte 1 oder 2 realisiert werden.

Beurteilung durch das Preisgericht:

Der geplante Eingriff in die bauseits vorhandene Holzvertäfelung wird als sehr hochwertig eingestuft und die realistische Darstellung im positiven Sinne als malerisch empfunden. Durch die vorgesehene Platzierung im unteren Bereich der Wand werden die Intarsien eher entdeckt, was den Eindruck des »Finden« hervorhebt. Dies wird als positiver Überraschungsmoment beschrieben. Die Verwendung eines nachhaltigen Rohstoffs wird positiv hervorgehoben.