Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

Mathilde ter Heijne - "SPURENSICHERUNG IM GRENZGEBIET"

Konzept: Die Grenze ist kein Ort, sondern ein Zustand – diese Wandinstallation macht ihn sichtbar.

An der Schnittstelle von Vergangenheit und Gegenwart, Staat und Individuum dokumentiert das Projekt eine archäologische Kartierung des Unsichtbaren: Bodenstücke werden an Orten abgeformt, an denen sich Geschichte, Kontrolle, Bewegung und Unsicherheit eingeschrieben haben – Tatorte, Grenzlinien, Warteschleifen, Zonen des Stillstands.
Für beide Standorte sind in diesem Projektvorschlag 5 bis 20 cm dicke Wandreliefs in Steinoptik geplant. Die robusten, langlebigen, pflegeleichten Elemente werden auf die Wände montiert und erfüllen so die Anforderungen an eine Platzierung im funktionalen Umfeld einer Bundespolizeistation. Der Realisierungsprozess des Projektes kann im Austausch mit dem Auftraggeber erfolgen und das Kunstwerk so identitätsstiftend aufladen. Die Arbeit knüpft außerdem inhaltlich an die Situation vor Ort an, u.a. durch die Einbeziehung der Ideen und Vorschläge von Mitarbeitenden der Polizeiinspektion und durch Recherche in den Archiven und historischen Sammlungen in Görlitz und Polen.
Den Besuchern bietet sie außer einer ästhetischen poetischen Erfahrung spannende Informationen, welche, falls gewünscht, in Zukunft zusätzlich in einem Heft außerhalb der Polizeistation präsentiert werden können.
Die Bundespolizeiinspektion Ludwigsdorf ist ein grenznaher Standort und eine gemeinsame deutsch­polnische Dienststelle. Das Konzept für die Wandinstallation bezieht sich auf die alltägliche Arbeit der Beamtinnen und Beamten im Grenzgebiet – auf Straßen, Bahnstrecken und andere Transportachsen. Die Grenze erscheint hier nicht als Strich auf einer Karte, sondern als ein sich wandelnder Zustand, eingeschrieben in Wege, Umwege, Kontrollpunkte und Fluchtlinien. In dieser von Geschichte, Schengenraum, Migration und politischen Spannungen geprägten Region hat der Boden Gedächtnis. Mit diesem Projekt – Bodenabdrücken von Orten rund um die deutsche und polnische Grenze – soll die »Straße als Arbeitsplatz« der Bundepolizei sichtbar gemacht werden.
Geschichtsträchtige Orte, Tatorte oder besonderen Räumen im Grenzgebiet lassen sich als konservierte Spuren menschlichen Handelns und kollektiver Geschichte lesen – eine Art archäologische Zukunft, die soziale, politische oder kulturelle Spannungen sedimentiert.
Im nächsten Schritt werden die Bodenabdrücke für die Zukunft konserviert und mittels Steinimitaten aus Kunstharz zu Fossilen der Gegenwart gemacht. Inspiriert ist dieser Prozess durch die für ihre vielfältigen Sedimentformationen (eine Art »Geschichtsspeicher«) bekannte Lausitz – Sandstein, Tonstein, Kalkstein, Schiefer und nicht zuletzt Braunkohle sind hier zu finden.
Die entstandenen Bodenreliefs erinnern an geologische Fundstücke, als hätte man Jahrhunderte später die Topografie der Grenzregion ausgegraben. Sie zeigen Pflasterritzungen, Risse, Müllreste, Fuß­ und Reifenspuren, verlorene Gegenstände – alles, was der Ort preisgibt. Die Abgüsse wirken wie Fossilien, konservieren Spuren menschlicher Anwesenheit, Abwesenheit oder Spannung.
In einer Bundespolizeistation nahe der Grenze wirken sie wie ein stilles Archiv – weder Anklage noch Beweis, sondern in Material gegossene poetische Erinnerung.
Zu jedem Relief ist eine gestaltete Informationstafel vorgesehen, die den Abnahmeort, das Datum, GPS­Daten und dessen Bedeutung festhält. Die Anordnung der Reliefs erfolgt in unregelmäßigen Clustern, wie Fundstücke in einem Depot oder Bruchstücke eines historischen Steinfrieses.

Umsetzung Standort Gebäude 4

Am zweiten Standort – einer Wand im Eingangs­ bereich für das Personal – wird das Konzept in einer besonderen Variation umgesetzt. Hier wird ein Bodenrelief vom Gelände der Bundespolizeiinspektion um das Logo der Bundespolizei und ausgewählte Alltagsgegenstände, die aus dem unmittelbaren Arbeitsumfeld stammen, ergänzt.
Die Mitarbeitenden werden eingeladen, Objekte zu benennen und nach Möglichkeit bereitszustellen, die für sie im Polizeialltag von besonderer Bedeutung sind – Dinge, die als »Gesteinssediment« dauerhaft festgehalten werden sollen (siehe Beispiele Poster 02).
So entsteht ein kollektives Erinnerungsstück, das Identität stiftet und den Blick auf den eigenen Berufsalltag erweitert.

Beurteilung durch das Preisgericht:

Der Entwurf von ter Heijne überzeugte die Jury aufgrund seiner formalen und inhaltlichen Komplexi­tät. Denkt man gemeinhin bei Grenzen und Grenzübergängen an Fahnen und Hoheitssymbole, kommt die skulpturale Wandarbeit der Konzeptkünstlerin ganz ohne diese Symbolik aus. Ihr gelingt es auf eindrückliche und zugleich leichthändige Art und Weise die Grenze nicht nur als einen Ort, sondern auch als einen Zustand zu fassen. Ihr Vorschlag bezieht sich unmittelbar auf die deutsch-polnischen Einsatzorte der Bundespolizist*innen am Standort Ludwigsdorf, das sind Straßen, Bahntrassen und weitere Transitstrecken, die Deutschland und Polen miteinander in Verbindung und in Beziehung set­zen. Ihre mehrteilige, partizipatorisch angelegte Reliefarbeit zeigt Fundstücke, Alltagsobjekte, Be­funde, die den Arbeitsort, die Straße, haptisch sichtbar werden lassen. Im Sinne einer Archäologie des Alltags hebelt das Kunst am Bau-Werk unser Verständnis von Grenze aus, wenn über die an der Wand angebrachten Bodenreliefs persönliche und kollektive Orte des Gedächtnisses geschaffen werden. Aus Nutzerperspektive wurde konstatiert, dass dieses stille Archiv „ein informatives Portal in den Einsatz­raum der Polizisten" bringt und den Ort der Polizeiinspektion, die Region der Lausitz, über die ver­schiedenen Abformungen der Bodensegmente sichtbar.

Mathilde ter Heijne - "SPURENSICHERUNG IM GRENZGEBIET"

Visualisierung: Mathilde ter Heijne