Michaela Melián - "Dotted Lines – Mosaikarbeit"
Konzept:
Die künstlerische Gestaltung für den Neubau Postblock Süd an der Wilhelmstraße / Ecke Zimmerstraße, 10117 Berlin nimmt die wechselvolle Geschichte des Areals mit besonderem Augenmerk seiner Architekturen und Topografien zum konzeptuellen Ausgangspunkt. Auf dem Berliner Stadtplan aus der Weimarer Republik ist auf dem Areal Ecke Zimmerstraße / Wilhelmstraße das Berliner Konzerthaus und der Buchhändlerhof verzeichnet, angrenzend finden sich Schulen, Museen, Ministerien.
Dieses repräsentative Stadtquartier wurde während der Zeit des Nationalsozialismus von zentralen Institutionen des Terrors besetzt. Viele dieser Gebäude wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nach der Teilung Berlins war die Wilhelmstraße getrennt in einen nördlichen, Ostberliner und einen südlichen, Westberliner Bereich.
Die Grenze verlief in Höhe der Niederkirchner-/ Zimmerstraße, die Berliner Mauer trennte diese Straßen in ihrer ganzen Länge. Der Grenzstreifen war hier nur wenige Meter breit. Südlich der Mauer, in Westberlin entstanden in den 1970er Jahren zahlreiche Sozialwohnungsbauten, im Norden, in Ostberlin
wurde erhaltene Bebauung im Bereich der Sektorengrenze beseitigt und im angrenzenden Quartier bis in die 1980er Jahre große Plattenbauten realisiert.
Heute bildet das Postblockareal Süd zwischen ehemaliger Berliner Mauer, IBA 87, Checkpoint Charlie und Detlev-Rohwedder-Haus den letzten historischen Stadtmosaikbaustein in der dichten Berliner Blocklandschaft (Zitat laut Ausschreibungstext). Auf der Basis von einer Collage aus Zeichnungen, die nach historischen wie aktuellen Fotografien und Dokumenten der dieses Areal bestimmenden Bauwerke und Orte angefertigt werden, ziehen sich Mosaiklinien, hergestellt mit gold- bzw. messingfarbenen Mosaiksteinen über alle Stockwerke des Baus hin. Die einzelnen Zeichnungen verbinden sich in der Komposition lose miteinander und setzen dabei verschiedene Zeiten zueinander in Beziehung. Die Technik ist bewußt auch in Anlehnung an die bedeutenden Mosaike der Berliner Stadtmitte gewählt, wie dem Wandbild „Aufbau der Republik“ von Max Lindner am Detlev-Rohwedder-Haus von 1952 oder dem Wandfries „Unser Leben“ von Walter Womacka am Haus des Lehrers von 1964.
Herstellungsinformationen
Die vorgeschlagene Mosaikarbeit zieht sich als Linienzeichnung über die für die künstlerische Gestaltung ausgewiesenen Wandflächen der verschiedenen Stockwerke. Die Mosaikbausteine haben eine Größe von 15 x 15 x 3 mm. Ein Teil der Steine wird extra für dieses Mosaik hergestellt: Ausgangsmaterial ist ein bei Scheideanstalten aufgekaufter Metallmix bestehend aus Messing, Tombak oder Neusilber, der als als Restmenge bleibt, wenn die dünne Silberschicht von versilberten Haushaltsgegenständen wie z.B. Silberbesteck in der Scheideanstalt getrennt wird. Die ursprüngliche Idee, das Silber mit den Gegenständen einzuschmelzen, musste verworfen werden, da der Silberpreis zur Zeit zu hoch ist und deshalb das Silber aus versilberten Haushaltswaren in der Regel getrennt verwertet wird. Der nach der Scheidung gewonnen Restmetallmix wird von einer Gießerei eingeschmolzen und dann im Sandgußverfahren zu Mosaiksteinen weiter verarbeitet. Jedes metallene Mosaiksteinchen trägt damit die Geschichte seines Ausgangsmaterials in sich.
Mit Edelmetallen überzogene Haushaltsgegenstände waren noch bis zum Ende des 20. Jahrhundert hinein für viele Menschen ein wichtiger und wertvoller Familienbesitz, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Während der Nazizeit haben Menschen, die aus rassischen oder politischen Gründen Deutschland verlassen mussten versucht einzelne Teile aus diesem persönlichen Familienbesitz mit ins Ausland zu retten. Gleichzeitig wurden riesige Mengen an privaten versilberten Gegenständen (genauso wie andere Edelmetalle) enteignet und sprichwörtlich versilbert. Heute dagegen haben diese Gegenstände für eine nachwachsende Generation meist keinen vergleichbaren Wert mehr, es interessiert vor allem der Materialwert. Da die Herstellung der Mosaiksteinchen aus diesen Restmetallen eine sehr aufwendige und kostenintensive Handwerksarbeit ist, habe ich nach anderen historischen Mosaiksteinen gesucht, die in
der Farbigkeit den neu hergestellten ähneln. Bei der Recherche bin ich im Keller der Mayer’schen Hofkunstanstalt in München auf ein umfangreiches Konvolut historischer goldener Mosaiksteine (in Glas eingegossenes Blattgold) in vergleichbarer Größe gestossen, die dort für künftige Restaurationsaufgaben
gelagert sind. Diese Steine waren In den 1960 Jahren von der Hofkunstanstalt in einer Versteigerung von der Bundesregierung erworben worden. Das Material kam ursprünglich von einer Berliner Firma, die seit Ende des 19. Jahrhunderts Baumaterialien, unter anderem auch seit den 30er Jahren für nationalsozialistische Bauwerke produziert hatte, zu deren Fertigstellung es nach 1945 nicht mehr gekommen war.
Die Mosaikzeichnung soll von der auf künstlerische Mosaikverlegetechniken spezialisierten Firma
Mayer’sche Hofkunstanstalt München händisch verlegt, d.h. in die Wand eingebettet werden.
Die Führung der Fugenlinien folgt dabei genau wie die Anordnung der gold- bzw. messigfarbenen Mosaiksteinchen der vorgegebenen Zeichnung. Die Zeichnung wird bei geringem Abstand von der Wand als rein abstrakt, die einzelnen quadratischen Mosaiksteinchen als Pixel wahrgenommen.
Erst beim Zurücktreten in einige Meter Entfernung erschließt sich die gesamte Zeichnung. Ein sachgerecht verlegtes Mosaik hat keine limitierte Lebensdauer.
Beurteilung durch das Preisgericht:
Die Arbeit überzeugt durch die sensible Thematisierung der historischen Krisen des Ortes und durch eine Materialwahl, die schillernd, vielschichtig und zugleich tief in der Geschichte verwurzelt ist. Die verwendeten Mosaiksteinchen wirken dekorativ und spiegeln das konzeptuelle Denken eindrucksvoll im Material wider. Besonders bemerkenswert ist, wie harmonisch sich die Kunst in die Architektur einfügt. Das Spiel zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit erzeugt aus der Ferne einen äußerst wertigen Eindruck. Zugleich bleibt die Handschrift der Künstlerin klar erkennbar: eine Handzeichnung, die sich in eine elegante Abstraktion transformiert. Die räumliche Herausforderung, über mehrere Etagen eine zusammenhängende Gestaltung zu entwickeln, wird kreativ genutzt – die Geschoßdecken werden zur Erweiterung. Insgesamt zeigt die Arbeit eine tiefgehende Auseinandersetzung mit Ort und Geschichte.
Die Arbeit bringt viele positive Aspekte mit: Sie zeigt ein starkes Konzept und Potenzial, sowohl gestalterisch als auch inhaltlich. Technisch sollte die Strichbreite auf der riesigen Wand überprüft werden, da sie möglicherweise zu schmal ist, um die Wirkung im Maßstab des Raumes vollständig zu entfalten. Das Bild als Ganzes ist aufgrund der Architektur nicht vollständig sichtbar, was kontrovers bewertet wird. Zudem wird die Außenwirkung der Arbeit vermisst, da ein visueller Bezug nach außen nicht ausreichend erkennbar ist. Die Vorprüfung weist darauf hin, dass die Leitungsebene in den Entwurf einbezogen wurde, obwohl sie nicht zum Arbeitsbereich 1 gehört. Die roten Standort-Markierungen im Entwurf verweisen auf die Glasfassade zum Hof. Insgesamt zeigt der Entwurf eine interessante künstlerische Idee mit hohem Potenzial, allerdings sind noch Anpassungen nötig, um Sichtbarkeit, Strichwirkungund Bezug zur Umgebung klar und überzeugend zu gestalten.
Visualisierung: Michaela Melián