Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

Olaf Nicolai-  "Silk is a noun - and can be a verb”

Konzept:

VORSATZ
Das historische Umfeld des heutigen Finanzministeriums und des Neubauprojektes auf dem Gelände Wilhelmstraße / Ecke Zimmerstraße wird in der Ausschreibung zum Kunst-am-Bau-Wettbewerb "Berlin Postblock Süd, Neubau für ministerielle Nutzung und Wohnen" / Arbeitsbereich I besonders und ausdrücklich betont. Dazu sollen einige Bezüge für den nachfolgend eingereichten und beschriebenen Vorschlag genannt werden:

Im Jahr 1688 lässt Kurfürst Friedrich III., der spätere preußische König Friedrich I. (seit 1701) auf der Köllnischen Feldmark eine neue Stadt anlegen, die im Jahr 1691 das Stadtrecht erhält. Die barocke Neugründung wird nach ihm als „Friedrichstadt“ benannt. Sie folgte dem damals modernsten Stadtkonzept, das als schachbrettartiger Grundriss ein regelmäßiges System von rechtwinklig sich schneidenden Straßen vorsah. (-> geometrisches System) "Ein wesentliches Motiv für die Gründung der Friedrichstadt war der Grundsatz des preußischen Merkantilismus 'Menschen sind der größte Reichtum'. Dieser fußte auf einer Steuerpolitik, nach der die Akzise (meist indirekte Steuer / Binnenzoll) einen Großteil des sich in Preußen stetig erhöhenden Finanzbedarfs für Armee, Hofhaltung und Bürokratie aufbringen sollte.“ Deren Ertrag hing mit der Höhe der Einwohnerzahl zusammen. ( -> Steuer- und Finanzpolitik)

Der Bevölkerungszuwachs in Berlin wurde damals besonders durch die Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen (hier z.B. französischer Hugenotten) realisiert. Die meist zweigeschossigen Häuser waren streng vereinheitlicht, besaßen kaum Dekor: "So ergab sich ein Gesamtbild mit einem hohen Maß an Regelmäßigkeit“. (1)

In den folgenden Jahrzehnten konnten jedoch immer weniger neue Ansiedler gewonnen werden. Am 23. Mai 1721 erließ Friedrich Wilhelm I., der Nachfolger des Preußischen Königs Friedrich I., ein „Patent betreffend der Benificia dererjenigen, so auf der Fridrichs=Stadt neu anbauen wollen“. Die noch vielen „wüsten“ (unbebauten) Stellen der Friedrichstadt sollten endlich geschlossen werden. Daher ging Friedrich Wilhelm I. dazu über, an wichtige Mitglieder seiner Staatsbehörden, Mitglieder des Hofes, hohe Militärs aber auch Unternehmer und Bankiers große Bauflächen zuzuweisen und diese zum Bauen teilweise unter Zwang zu ‚bewegen'. In der nach ihm benannten Wilhelmstraße (seit 1732, im Abschnitt des heutigen Standortes des Finanzministeriums seit 1735) und der Zimmerstraße (seit 1734) entstanden Adelspalais zu denen auch Park- und Gartenflächen gehörten. (2)

„Auf diesen großen Flächen (wurden) barocke Gärten angelegt, die zunächst gar nicht so sehr der Zierde dienten. Zwar werden in Beschreibungen vor allem die fremdländischen Bäume und Sträucher hervorgehoben, doch dazwischen schmückten Kohl in verschiedensten Sorten und Farben, Kohlrabi, Mohrrüben etc. die abgezirkelten Felder mit geometrischen Figuren. Die Kunst des Gärtners hatte nun darin zu bestehen, das Gemüse unter Berücksichtigung der
unterschiedlichen Keimungs- und Reifezeiten so zu ordnen, dass ein ständig wechselndes, farbiges Bild mit betonten Kontrasten entstand. Das Ornament der geometrischen Figuren wurde also durch ein abgestimmtes Farbprogramm ergänzt.“ (3) (-> wechselndes farbiges Bild und abgestimmtes Farbprogramm)
Zu den prächtigsten Palais in der Nachbarschaft des heutigen Baugrundstücks gehörte das spätere Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße, zu dessen Bau der aus einer französischen Seidenhändler-Familie stammende Baron François Mathieu Vernezobre de Laurieux vom König gedrängt worden war. Diese Praxis setzte auch der seit 1740 regierende König Friedrich II. (gen. auch der Große) fort: Das nahe gelegene Grundstück Leipziger Straße 3-4 (heute Sitz des
Deutschen Bundesrates) war seit 1761 im Besitz von Johann Ernst Gotzkowsky, der hier eine Porzellan- und Seidenmanufaktur betrieb, aus der nach dem Bankrott im Jahr 1763 die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) hervorging. (4) (-> Porzellan und Seidenstoffe)

KONZEPTION
Für das neue Gebäude (Arbeitsbereich I) wird für den Kunst-am-Bau-Wettbewerb "Berlin Postblock Süd, Neubau für ministerielle Nutzung und Wohnen" eine textile Gestaltung vorgeschlagen, die aus Seidenstoff gefertigt ist und welche des Weiteren auf den Prinzipien von geometrischem System / Regelmäßigkeit bei gleichzeitig wechselnden farbigen Bildern und einem abgestimmten Farbprogramm basiert. Auf diese Weise wird sowohl auf die weiter oben
beschriebene planerische Systematik des Entwurfs der historischen „Friedrichstadt“ als auch ihre Programmatik als Herstellungsort u.a. von Seidenstoffen Bezug genommen.

Die Verbindung zwischen dem Atrium und den verschiedenen Etagen des Neubaus, wie sie in der Ausschreibung gefordert ist, wird durch das stets wiederkehrende Gestaltungselement gleich großer und regelmäßig wiederkehrender (in der Länge jedoch variabler) Ensemble von Seidenvorhängen erreicht. Deren Positionierung im Raum und die Abfolge ihrer Farbigkeit sind offen für den Nutzer. Seine Beteiligung (als Option im Entwurf ‚mitgedacht‘, siehe unten)
unterstützt die Partizipation als Nutzer des Gebäudes und schafft eine Identifikation mit diesem Ort. Gleichzeitig ist der Vorschlag auf eine präzise räumliche Gestaltung produktiv anwendbar, auch wenn sich einzelne Variablen des noch in Planung befindlichen Gesamtkomplexes verändern sollten.

Ausgangspunkt bildet ein Set von Farben, das als Farbprogramm für variable räumliche Gestaltungen unter dem Titel „30 Farben“ entwickelt wurde. Aus diesem Set von 30 Farben können die Nutzer ihre eigenen Kombinationen auswählen, die dann für die Raumgestaltung übernommen werden. In diesem Fall sollen die Nutzer jeder Etage 5 Farben für sich auswählen. Es wird dann eine entsprechende Anzahl von Vorhängen gewebt, wobei pro Vorhang immer
eine Farbe in eine andere übergeht, bis alle 5 Farben präsent sind. Diese Vorhänge können in der Weise ‚aufgezogen' werden, so dass sie die Hälfte der Wandabwicklung einer Etage bedecken – oder auch zusammengezogen nur einzelne Farbfelder bilden. Wie sie jeweils sich „entfalten“, hängt von den konkreten Wünschen oder technischen Anforderungen ab: ihre Position ist und bleibt variabel. Im Erdgeschoss wird die Wandfläche dagegen mit allen 30
Farben gestaltet, die die Wand dann vollständig bedecken. Dort bildet sich sozusagen das „farbige Alphabet“ des künstlerischen Entwurfs ab.

Darüber hinaus, als eine mögliche Option, kann eine Publikation (digital oder analog) das Projekt begleiten und das Farbprogramm wie seine ‚offene‘ Kombinatorik vorstellen. Ebenso ist eine mögliche Erweiterung der Arbeit vorstellbar, bei der die Pflanzung von Maulbeerbäumen im Außenraum ein kleines „Echo“ zu dem Kunstwerk und seiner historischen Referenz im Innenraum bilden kann.

Beurteilung durch das Preisgericht:

Der Entwurf überzeugt als einziger mit einem partizipativen Ansatz und setzt zugleich eine souveräne ästhetische Geste. Die Arbeit zeigt eine klare Auseinandersetzung mit dem Ort und schafft eine feinfühlige Reminiszenz an dessen Geschichte und wirkt durch das verwendete Material der Seide besonders wertig. Zugleich verweist sie auf die Problematik der Globalisierung, jedoch mit einer Leichtigkeit, die dem Thema zugutekommt. Der
Herstellungsprozess mit deutschem Handwerk und der Bezug zur sächsischen Industriekultur verleihen dem Werk zusätzliche historische Tiefe. Besonders elegant ist, wie die akustische Problematik des Raumes gleich mitbedacht und gestalterisch gelöst wird. Die vorgehängten Stoffe – wie einst in alten Pinakotheken – bringen eine zeitlose Qualität ein und verbinden Tradition und Gegenwart auf überzeugende Weise.

Obwohl die hohe Materialqualität positiv gewertet wird und zum Anfassen einlädt, wird kritisch diskutiert, wie lange die Ästhetik und Schönheit des Materials erhalten bleiben kann; es besteht die Frage, ob es überhaupt einen Anlass geben wird, die Vorhänge zu verschieben. Die Wirkung des Entwurfs hängt stark von der Gestaltung der Wände und der Möblierung des Gebäudes ab, wobei die intensive Farbigkeit verspricht, sich dennoch durchzusetzen. Die Arbeit wirkt teilweise „flatterhaft“ und auf den ersten Blick „too much“. Sie könnte ebenso als Teil der Innenarchitektur verstanden werden. Insgesamt entsteht eine
starke Setzung, die Kraft ausstrahlt und eine klare Haltung einnimmt. Es ist ein Entwurf, den man bewusst wollen muss, der den Raum neu definiert und durch seine Materialität, Farbigkeit und Partizipation eine besondere Aufenthaltsqualität schafft. Die Herausforderung liegt darin, die Balance zwischen provokanter Lebendigkeit und Beständigkeit zu sichern, sodass das Werk langfristig seine Wirkung entfalten kann.


Visualisierung Olaf Nicolai PBS

Visualisierung: Olaf Nicolai