Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

Prof. Dr. Schirin Kretschmann - "Ohne Titel"

Konzept:
Der Wettbewerbsbeitrag schlägt eine künstlerische Arbeit vor, die sich mit Materialforschung, formaler Transformation und semantischer Verschiebung auseinandersetzt. Ausgangspunkt ist das Motiv der Kugel – eine geometrische Grundform, die im Kontext einer Raumschießanlage mit besonderer Spannung belegt ist. Die Arbeit nimmt diese Spannung auf, ohne sie zu reproduzieren. Durch gezielte materielle und formale Umcodierungen wird die Kugel von ihrer funktionalen Aufladung gelöst und in eine vielschichtige Struktur überführt.

Ein Gefüge aus Kugeln, integriert in die weißen Wandflächen der Flure, entfaltet sich entlang der Bewegung durch den Raum. Jede Kugel ist ein individuell bearbeitetes Objekt – verschieden in Größe, Haptik, Materialität – und bildet in der Konstellation mit den anderen ein visuelles System, das sich verdichtet und auflöst, reagiert und sich entzieht.

Punktuelle Intarsien als Kugelschwarm 

Die Kugeln – zwischen 15 und 40 mm im Durchmesser – werden als punktuelle Intarsien in die Trockenbauwände eingesetzt

Jede ragt leicht über die Wandfläche hinaus und wird zu einem tastbaren, präzise gesetzten Eingriff in die Architektur. Ausgehend von der zentralen Wandfläche gegenüber dem Eingang – dem dichtesten Bereich der Arbeit – breitet sich das Kugelgefüge über zwei weitere Wandflächen aus, die sich jenseits einer Tür gegenüberliegen. Dort erscheinen nur vereinzelte Kugeln: als Ausläufer der dichter besetzten Hauptfläche.

Diese räumliche Dynamik aktiviert den Durchgang, lässt die Arbeit changieren zwischen Fokus und Weite, Konzentration und Auflösung. Die Anordnung bildet zugleich eine offene Konstellation, in der jedes Objekt seine eigene Präsenz behauptet, ohne sich in ein starres System einzufügen. Es entstehen Beziehungen zwischen Punkten im Raum – eine Formation, die sich je nach Blickwinkel und Bewegung immer wieder neu ordnet.

Die Arbeit wird als leichtes, abstraktes Relief lesbar, das sich wie eine gestische Zeichnung über die Architektur legt. Ihre Oberfläche lädt zur Berührung ein und eröffnet eine körperlich-räumliche Wahrnehmung, die zwischen Struktur und Intuition vermittelt – als Haut, Intervention und Kontaktzone.

Materialität, Vernetzung und Individualität

Die Kugeln sind aus unterschiedlichsten nichtbrennbaren Werkstoffen gefertigt, mit jeweils eigenen Eigenschaften und Alterungsprozessen: Edelstahl, Aluminium, Bronze, Stahl, Marmor, Vulkanstein, Granit, Keramik, Glas, Beton, Terrazzo sowie geeignete Verbundmaterialien. Sie werden mithilfe additiver, subtraktiver und umformender Verfahren bearbeitet – etwa durch Gießen, Schleifen, Drehen, Fräsen, 3D-Druck oder plastisches Modellieren. So entstehen Oberflächen, die glänzend oder matt, rau oder glatt erscheinen – und Materialien, die leicht oder schwer wirken.

Jede Kugel ist ein Unikat mit eigener Herkunft, Haptik und Geschichte – das Ergebnis eines handwerklichen Aushandlungsprozesses zwischen Material, Technik und gestalterischer Entscheidung. Ihr hoher Arbeitswert zeigt sich in der Präzision der Bearbeitung und der Vielfalt der Verfahren, die oft in enger Zusammenarbeit mit spezialisierten Werkstätten und Fachleuten entstehen. Je kleiner und feiner eine Kugel gearbeitet ist, desto höher ist der Aufwand – und desto sichtbarer wird der Wert dieser Arbeit.

So steht das Werk für ein kollektives, vernetztes Handeln: Es ist Ausdruck eines Zusammenspiels von Menschen, Materialien, Techniken und Haltungen – verbunden durch gemeinsame Sorgfalt, Verantwortung und gestalterische Aufmerksamkeit.

Bewegung, Aufmerksamkeit, Entscheidung

Die Arbeit entfaltet sich in einem architektonischen Raum, der durch Spannung, Übung und Konzentration geprägt ist. Ihre offene Lesbarkeit erlaubt vielfältige Bezüge – auch über die Kunst hinaus. Aspekte wie Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit, räumliche Orientierung und präzises Handeln spiegeln sich in der Wahrnehmung des Werks ebenso wie in professionellen Situationen, in denen Entscheidungen unter hoher Anforderung getroffen werden.

Beurteilung durch das Preisgericht:

Die interessante Materialmischung, der handwerkliche und ästhetische Aspekt wurden hier besonders positiv erwähnt. Sowohl die Sachpreisrichter, als auch die Kunstexperten bezweifelten allerdings, ob die Bundespolizisten diese Installation positiv oder spielerisch in ihrem ästhetischen Ansatz wahrnehmen könnten. Der reale Ort verleitet dazu, den beschriebenen Spannungseffekt der Kugelform eher mit einer Explosion - oder verfehlten Zielen zu assoziieren.
Ebenso ist die Anmutung der beigefügten Schusskugeln ambivalent zu betrachten, da ja wirklich nur in Notsituationen eingegriffen wird.

Schirin Kretschmann Entwurf

Visualisierung: Prof. Dr. Schirin Kretschmann