Ute Vorkoeper - "Doppelbelichtung"

Konzept: Durch den nach Norden gerichteten Haupteingang des Bundesamts für Strahlenschutz und seine große Fensterfront wird nur an den längsten Tagen des Jahres in den frühen Morgenstunden Sonnenlicht einfallen. Doppelbelichtung ersetzt, unterbietet und übersteigert die ausbleibende Bestrahlung von oben: Austretend aus zwei Punkten am Boden schießen zwei ineinander verschobene Lichtstrahlen schräg über den Vorplatz auf die Glasfront zwischen den Eingängen zu. Dort brechen sie sich und dringen schräg in den Flur vor den Tagungsräumen, zeichnen sich auf dem Boden, der Bank und der Wand ab. Die Stoffe, die sie streifen, überziehen sie mit leichter Farbe (künstlichem weißem Licht) und greifen sie zudem materiell an, dringen millimetertief in sie ein.

Im Außenraum erinnert die Lichterscheinung an Traktorstrahlen, d.h. an fiktive magnetische Photonenstrahlen, die Objekte bewegen und heranziehen können. Und in der Tat scheint die unwirkliche Strahlung den Eingangsbereich des Gebäudekomplexes – optisch – in Richtung des umlaufenden Weges auf das vor ihm liegende Gelände des Helmholtz-Zentrums zu ziehen. Im Innenraum erinnert die eintretende Strahlung an einen wandernden Suchscheinwerfer, der in zwei Momenten des Vorüberziehens angehalten wurde. Dauerhaft erfahrbar bleibt ein rätselhaft doppelbelichteter Strahlungsmoment, der beim Verweilen auf der Bank vor dem Fenster in seiner optischen und taktilen Qualität erfahrbar wird.

Das Basrelief verkoppelt performativ sichtbare und unsichtbare, übertragen nicht-ionisierende und ionisierende Strahlung, Wellen und Lichtteilchen. Es zeichnet die Reflexionen der sprunghaft verrückten Lichtstrahlen auf und manifestiert sie zugleich als Strahlungseffekte: Sie entstehen durch Stockschläge, Sand- oder Kugelstrahlungen und sie bestehen aus den sicht- wie fühlbar in den Estrich, in den Beton und im Holz eingegrabenen Spuren ihrer Herstellung. Hervorgehoben wird das minimale Relief schließlich durch weiße Farblasuren, die sich über die strukturierten Oberflächen gießen und sich in den Strahlenschnittmengen deckender weiß überlagern.

Begründung
Doppelbelichtung schwankt zwischen Zugabe und Angriff, Flüchtigkeit und Dauer, Bewegung und Stillstellung, Dinglichkeit und Transzendenz. Sie geht von der unbegreiflichen, hochgeschwinden Stofflichkeit von Photonen aus, die sich nur als Reflexion / Reaktion auf Grenzflächen zeigt und die Forschung nach wie vor antreibt. Sie verbindet in sich, dass Strahlen immer gleichermaßen belebend, lebensnotwendig und lebensvernichtend sein können. Sie übersetzt das Changieren zwischen Schönheit, Potenz und Gefahr, die Suche nach Strahlenursachen und Strahleneffekten in ein ebenso ausgedehntes wie poetisch dichtes Raum-Relief-Bild. Es begegnet den Mitarbeiter*innen des Bundesamts für Strahlenschutz auf ihrem täglichen Weg zum Gebäude und beim Eintritt in das Gebäude täglich, da es quer zu den Laufrichtungen liegt bzw. an ihnen entlangläuft.

Die Arbeit ist aus der Vogelperspektive und bei der ersten Begegnung als Hinführung auf das Gebäude spektakulär. Darüber hinaus entfaltet sie ein subtiles, sich in der Bewegung und bei wechselnden Lichtverhältnissen änderndes Strahlenschauspiel. Es tritt beim Passieren oder beim Pausieren auf der Bank, die als Grenzfläche in den Strahl gestellt ist, ganz beiläufig ins Auge, dringt bisweilen in die Wahrnehmung und löst Assoziationen aus.


Beurteilung durch das Preisgericht:

Dieser anspruchsvolle Entwurf überzeugt durch seine Raffinesse und Subtilität und erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Es wird eine Lichtquelle suggeriert, die besonders im Innenbereich eine neue Lichtsituation und Räumlichkeit erzeugt. Die Lichtstrahlen wirken wie eine einladende Geste
ins Gebäude hinein. Die Idee, Licht durch einen abrasiven Eingriff zu materialisieren ist gelungen umgesetzt, der zu erwartende Alterungsprozess des Farbauftrags wird als ästhetisch eingestuft. Als konzeptionell überzeugend wird hervorgehoben, dass wirklich alle bauseits vorhandenen Materialien im gedachten Lichtkegel bearbeitet werden.