alternativeText fehlt

Verena Issel - "Aus dem Raster: Gesellschafts-Bilder"

Konzept:
Einleitung: Die gesellschaftliche Spaltung nimmt zu. Menschen reden über einander, statt miteinander. Der Populismus nimmt zu, jeder schottet sich ab in seiner kleinen eigene, von social Media und Vorurteilen gespeisten Blase. Es fehlt der gesamtgesellschaftliche Diskurs und Zusammenhalt. Viele demokratische Errungenschaften werden derzeit populistisch von verschiedenen Lagern in Frage gestellt, so gehen auch beim Thema Polizei gehen die Meinungen sehr stark auseinander: auch innerhalb der Polizei. Viele Menschen stehen der Polizei aufgrund von Rechtsradikalismus – und Gewalt- Skandalen sehr skeptisch gegenüber, laut Umfragewerten sinkt das Vertrauen in die deutsche Polizei. Andererseits leiden junge Polizisten und Polizistinnen unter oft ungerecht verallgemeinernden Beschimpfungen und Hassattacken aus beiden Lagern des politischen Hufeisens bis hin zu Abschlägen, wie jüngst in Magdeburg.

Ich möchte mit meinem Kunstwerk einen dialogischen Ansatz verfolgen und dazu ermuntern, wieder miteinander zu sprechen. Gerade in einer demokratischen Ausbildungsstätte des Staates wie der Bundespolizeiakademie sollte zum Nachdenken und Kommunizieren angeregt werden. Das Kunstwerk soll aber auch gemütlich und fröhlich sein: entspannte Polizisten sind bessere Polizisten. 

Polizeistudie MEGAVO und Interviews als Basis des Kunstwerks und Raster
Der 2023 veröffentliche Zwischenbericht der laufenden dreijährigen Studie „Motivation, Einstellung und Gewalt im Alltag von Polizeivollzugsbeamten – MEGAVO“ zeigt, dass Obdachlose und Menschen mit sichtbarem Migrationsgeschichte überdurchschnittlich oft von der Polizisten abgelehnt werden. Immer wieder gibt es dazu passend in Deutschland Negativ-Schlagzeilen bei Übergriffen durch die Ordnungshüter. “Personen, die als fremd oder wohnungslos wahrgenommen werden, werden häufiger von der Polizei kontrolliert und schikaniert als andere”, heißt es vom Mediendienst Integration. (https://www.phoenix. de/rassismus-bei-der-polizei-a-4399902.html).

Ich möchte durch mein Kunstwerk nicht mit dem Finger auf Missverhältnisse zeigen, sondern versuchen, dazu beizutragen, dass Menschen sich die jeweils „andere“ Seite einmal anhören. Ich glaube fest an Gespräche zwischen Menschen: sich gegenseitig kennenzulernen baut Vorurteile ab. Nun gibt es eine Studie, die behauptet darzustellen, was Polizist*innen über Obdachlose und Menschen mit Migrationsgeschichte denken. Aber wie sieht es eigentlich andersherum aus? Und was denkt die Polizei über sich selbst? Dazu gibt es leider keine Studien. Gibt es Gemeinsamkeiten? Sind die Standpunkte verschieden - und wenn ja, ist das verständlich?

Ich habe deshalb die beiden laut Statistik von der Polizei am meisten abgelehnten Gruppen sowie die Polizei als Gruppe mit dem gleichen Fragenkatalog extensiv interviewt. Ich möchte nicht über Obdachlose sprechen, ich möchte mit Obdachlosen sprechen. Und ich möchte nicht über die Polizei sprechen,
ich möchte mit der Polizei sprechen. Ich habe auch Menschen ohne Obdachlosigkeit und Migrationsgeschichte interviewt (siehe Materialsammlung), werde diese aber weniger und nur zu Vergleichszwecken benutzen. Ich habe den unterschiedlichen Menschen die gleichen Fragen gestellt, die Antworten sind
Basis meines Kunstwerks.

Die Fragen sind:
1. Was ist die Polizei für Sie?
2. Was sollte die Polizei im Idealfall sein?
3. Wann hatten Sie selbst das letzte Mal (als Privatperson) mit der Polizei Kontakt? Beschreiben Sie kurz
die Begegnung.
4. Wo hätten Sie gern mehr Unterstützung von der Polizei?
5. Wünschen Sie als Privatperson sich mehr Freiräume, die nicht durch Polizei reglementiert werden,
und wenn ja, welche?
6. Wie kann die Polizei sich verbessern?

Diese harmlosen kurzen Fragen haben die Menschen ganz schön ins Erzählen gebracht- mit überraschenden Ergebnissen. Meine bisher gesammelten Antworten finden Sie im Anhang (lieder noch nicht komplett aufrung mangelnder Erlaubnis, die Polizei zu interviewen).

Ich habe dazu bis jetzt 120 Interviews geführt, ich bin in Obdachlosenheimen und Asylbewerberheimen gewesen, habe Menschen mit Migrationsgeschichte an Universitäten und im öffentlichen Raum angesprochen. Die Antworten waren für mich extrem verblüffend, da sie viel diverser, vielschichtiger, differenzierter und anders waren, als ich erwartet hatte. Die Interviews mit der Polizei gestalteten sich als schwierig: ich bekam keine offizielle Genehmigung aufgrund der Gleichstellungsgesetze (siehe Mail im Anhang). Ich habe es trotzdem geschafft, ein paar Polizist*innen „zum Reden zu bringen“ - aber hier
müssen noch viele Interviews geführt werden wenn ich gewinnen sollte. Aber bei den bereits Interviewten zeigte sich eine große Diversität, was ja auch dem öffentlichen Bild positiv widerspricht.
DIE ANTWORTEN DER VERSCHIEDENEN GRUPPEN PASSEN IN KEIN RASTER. Ich arbeite deshalb für die Installation mit einem Raster an der Wand! ( Siehe visuelle Darstellung)

Auf Basis von Interviews mit drei unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft, die der Polizei teils angeblich entgegenstehen, und mit Polizist*innen selbst, werden Zeichnungen erstellt, die zu einer Rauminstallation mit Wandmalerei und Metallobjekten führen. Jeder Aufenthaltsraum steht unter dem Motto
einer Frage wie z.B. „Was war ihr letzter Kontakt mit der Polizei (als Privatperson)?“ Auf den Wänden des Aufenthaltsraums sind dann die Antworten der Interviewten zu dieser einen Frage und die dazu gemachten Bilder zu Rauminstallationen zusammengefügt. Jeder Raum hat ein eigenes Thema, aber das Konzept setzt sich optisch und inhaltlich von Etage zu Etage fort, so das die Räume verbunden sind.

Es entsteht in jedem Aufenthaltsraum eine individuelle Rauminstallation bestehend aus folgenden Elementen:
• Auf ausgewählten Wänden in den Aufenthaltsräumen wird mit grauer Farbe ein Raster aufgebracht.
• Oben auf der Wand wird groß die jeweilige Frage per Siebdruck an die Wand angebracht.
• In das Raster werden wild verstreut die transkribierten Antworten auf die Frage per Siebdruck an die Wand gedruckt
• Neben ausgewählte Texte wird ein auf den jeweiligen Antworten basierendes Kunstwerk angebracht: entweder in Form einer gerahmten Malerei, die sich auf die jeweilige Aussage bezieht, oder aber in Form einer aus Metall ausgelaserten, vektorisierten Zeichnung.
• Die Bilder sind gerahmt hinter Museumsglas und die Metallzeichnungen sind mit Pulverlack farbig beschichtet.

Beurteilung durch das Preisgericht:
Die Wandinstallationen aus transkribierten Interviews kombiniert mit Edelstahl-Piktogrammen und gerahmten Bildern auf der gerasterten Fläche wirken wie vergrößerte Seiten aus einem Notizblock. Auf den ersten Blick erscheint alles leicht und fast beiläufig. Beim Einstieg in die Texte ergibt sich dann eine erstaunliche Vielfalt an Perspektiven, die auf humorvolle Weise einen Blickwechsel und das Einfühlen in konträre Positionen anregen.
Das Preisgericht wertet den konzeptionellen Ansatz als herausragend auch im Hinblick auf den konkreten Bezug zum Ort. Die bereits mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen sowie mit Polizeibeamten und Auszubildenden (mit und ohne Migrationsgeschichte und unterschiedlichen Geschlechts und Alters) geführten Interviews sind beeindruckend und zeugen von hoher Wertschätzung des Gegenübers. Dies macht neugierig auf die Fortsetzung und Ausarbeitung des Projekts. Da sich jeder Raum einer anderen Fragegestellung widmen soll, wird sich auch ein fortlaufender Dialog über alle Bearbeitungsbereiche einstellen.

Kontrovers werden die großen Metallobjekte auf farbigem Untergrund in den Küchen des Unterkunftsgebäude diskutiert, die als Frontispize zu den jeweiligen Erzählungen in den Aufenthaltsräumen diesen sollen. Nicht geklärt scheint der redaktionelle Umgang mit potentiell verfassungsfeindlichen Aussagen.
Die geplante Materialität und technische Umsetzung überzeugt das Preisgericht. Die auf die Wand gedruckten Texte lassen sich im Falle einer Renovierung der Räumlichkeiten ohne großen Aufwand in Schablonentechnik reproduzieren. Trotzdem sollte der konservatorische sowie der redaktionelle Umgang mit nachträglichen angebrachten „Kommentierungen“ des Werkes definiert werden.

Visuelles Kunstkonzept "Aus dem Raster: Gesellschafts-Bilder" von Verena Issel