Cécile Dupaquier
Recherche
Beim Gang durch den Flur und den sich daran anschließenden Verweilbereich legt der Mensch bewusst oder unbewusst eine Wegstrecke zurück. Diesem Menschen geht vielleicht gerade etwas durch den Kopf. Er mag in diesem Moment aufmerksam sein, in Gedanken, zerstreut oder gedankenlos: In jedem Fall durchläuft dieser Mensch einen Korridor von Zeit und Raum, bewegt sich Schritt für Schritt, beschreibt einen Vorgang und befindet sich in einem ungewissen Prozess.
Die Frage nach der Bewegung in der Skulptur, die auf den ersten Blick starr und bewegungslos scheint, beschäftigt mich schon lange. Mit minimalen Mitteln und diskreten Gesten versuche ich, meinen Skulpturen und Installationen eine Tendenz zur Bewegung zu verleihen, sei es durch Verschiebungen, Wiederholungen, Schatten oder die Beschaffenheit der Oberfläche. In dieser Hinsicht bin ich tagtäglich auf der Suche nach Beweggründen — wie wohl auch viele der Menschen, die beim BKA tätig sind, ermitteln, recherchieren. Und so lautet der Titel meines Projekts: Recherche.
Mit Recherche möchte ich die Idee eines Bewegungsablaufs aufnehmen und ihr künstlerischen Ausdruck verleihen. Recherche ist eine dynamisch verlaufende Wandinstallation. Sie besteht aus 48 weißen Tafeln in vier unterschiedlichen Normgrößen und mit fünf verschiedenen Abständen zur Wand. Die Tafeln stehen für Notizen, Dateien, Akten, Gutachten, Protokolle, Landkarten, Fotos, Zeichnungen — und für das Licht, das ins Dunkle gebracht wird. Die Tafeln folgen aufeinander wie die Einzelbilder einer Bewegung, die auf abstrakte Weise das mögliche Muster einer Ermittlung beschreibt.
Mit der ersten Tafel setzt Recherche am Anfang des Flurs unvermittelt an und nimmt sukzessive Schwung auf. Wie Details verdichten sich die Tafeln. Auf einmal entsteht eine Lücke, und der Bewegungsfluss scheint zu stocken. Doch dann erfolgt unvermutet ein Sprung nach oben. Nun bilden die Elemente nach und nach vertikale oder horizontale Verhältnisse zueinander, bekommen mehr Tiefe und lassen sich wie neu gewonnene Erkenntnisse anordnen.
Schließlich ergibt sich vor den Augen des Betrachters ein großes, komplexes, abstraktes Bild. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, die Dinge zu sehen, zu ordnen, zusammenzubringen, zu verstehen — eben eine erste These, kein Hirngespinst (gr. thésis kommt ursprünglich von „setzen, stellen“). Wer nun die Anordnung der Tafeln eine Weile betrachtet, dem wird eine gewisse Leerstelle nicht verborgen bleiben. Ein fehlendes Puzzleteil? Oder etwa ein blinder Fleck? Zeit um innezuhalten und sich noch einmal umzusehen.
Denn an der gegenüberliegenden Wand befindet sich — wie gespiegelt — noch eine weitere weiße Tafel, ein „Solitär“. Ist dies möglicherweise ein wichtiges Detail? Der entscheidende Hinweis, der übersehen wurde? Ein neues Motiv ist im Spiel. Nun werden die Spuren, Erkenntnisse und Befunde noch einmal überprüft, aus einer anderen Perspektive gesehen, vom großen Ganzen hin zum kleinsten Detail. Die Recherche kommt noch einmal in Gang.
Beurteilung durch das Preisgericht
Die Wandinstallation besticht durch die minimalistische Ausführung. In der Reduzierung wird eine hohe Qualität erkannt. Die leeren Bildtafeln können als plastisches Relief gelesen werden und agieren auf eine ungewöhnliche Art und Weise mit der Raumsituation. Es wird etwas aufgehängt – ohne das Bilder erzeugt werden. Auf diese Weise wird konzeptionell auf eine Methode oder ein Denkmodell hingedeutet. Für den repräsentativen Präsidialbereich wird der Entwurf mit so geringen Materialwert als nicht ganz angemessen empfunden.
Die Komposition kann formal ästhetisch als Notation gelesen werden. Die Dynamik der Hängung wird positiv auf den Raum wirken. Die leeren Tafeln operieren mit dem Unbestimmten. In einen repräsentativen Raum eine so zurückhaltende Arbeit zu platzieren, wird für das Erscheinungsbild des BKA nach Außen als positiv gewertet.