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Flaka Haliti - "It Stood There Like a Daytime Cloud"

Konzept: It Stood There Like a Daytime Cloud - Wie eine Wolke stand es am blauen Firmament
„Niemand kann mit letzter Sicherheit sagen, woher die Kreatur wirklich stammt und wie sie zu uns gekommen ist. Sogar ihre tatsächliche Größe ist uns unbekannt, da sie so tief in das Gebäude integriert ist, dass es unmöglich ist, sie in ihrer Gesamtheit zu sehen. Wir haben das Fachwissen vieler Menschen zu Rate gezogen, aber wir stehen immer noch vor einem Rätsel, denn je mehr Wissen wir über dieses Vogelgeschöpf angehäuft haben, desto tiefer schien es sich in sein Geheimnis zu hüllen. Wie eine am blauen Firmament stehende Wolke entzieht es sich unserem Zugriff.

Sicher ist nur, dass es eine Zeit gab, in der dieses Wesen nicht da war. Und dann, eines Morgens war das Gebäude von diesen zerklüfteten Knochen bedeckt. Es geschah in einer Nacht im Mai, als ein unerklärlicher Temperatursturz in der ganzen nördlichen Hemisphäre unsere Wetterstationen in Aufregung versetzte. Hier fiel sogar Schnee, der ganze Garten, ja die ganze Stadt war in sein unschuldiges Weiß getaucht. Und dann erinnere ich mich noch an den Schauer, der mir über den Rücken lief, als ich den metallenten, teils mit Schnee bedeckte Vogel zum ersten Mal sah. Allen Menschen ging es beim ersten Anblick so – und doch strahlt es in seiner Fragmentiertheit und Erhabenheit auch eine tiefe, ehrfurchteinflößende Friedfertigkeit aus. Als wäre man Teil einer archäologischen Ausgrabung, aber statt auf alte weiße Knochen stieße man auf die Überreste eines höher entwickelten Wesens, das durch technische Fertigkeiten erschaffen wurde, die die unseren weit übersteigen. Als würde man auf einem Stein eine antike, tote Schrift entziffern und läse seinen eigenen Namen in die Tafel geritzt.
Doch woher stammt das Wesen? Und wie kam es zu uns? Und viel wichtiger noch, warum? Wir wussten es nicht und wissen es immer noch nicht, all unserer Maßnahmen zum Trotz. Zuerst wurde das Gebäude evakuiert und es kamen Menschen in Strahlenschutzanzügen, die allerlei Untersuchungen durchführten. Ohne Ergebnis. Nur eine kaum mehr messbare Vibration wurde entdeckt, die eine Astrophysikerin mit dem Hintergrundrauschen in der absoluten Stille des Weltalls verglich. Ein Biologe erkannte dann unter dem irgendwie ausgehärteten Schnee die Knochenstruktur eines Adlers, wobei er sich später korrigierte, denn ein Teil, etwa ein Viertel dessen, was wir sehen, seien definitiv die Knochen einer Taube. Für ihn bestand kein Zweifel, und auch andere bestätigten, dass es ein Hybrid aus Adler und Taube sei.

Ein Gremium aus Fachleuten der unterschiedlichsten Disziplinen wurde einberufen, die sich zumindest auf eine Sache einigen konnten, wenn auch aus einem Mangel an alternativen Erklärungsansätzen: Das Wesen ist aus der Zukunft, und zwar aus einer so entfernten, dass darin sogar Zeitreisen möglich sein werden. Doch war sein Auftauchen hier und jetzt ein Unfall oder ein bewusster Akt? Eine ähnliche Frage kreist um das hybride Wesen der Kreatur: Eine Theorie besagt, das Metallskelett deute auf Kriegsführung hin, schließlich sei der Adler ein Raubvogel. Doch es gibt keine Waffen. Stattdessen eben die Taubenknochen, die manchem als das Ergebnis einer Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen gelten. Doch wie passt das zusammen? Die Majestät und Stärke eines Adlers, der nicht umsonst als Wappentier vieler Nationen fungiert, gepaart mit Knochen, die von den „Ratten der Lüfte“ stammen, wie es einmal jemand im Scherz formulierte. Dieses Kleinreden stieß freilich auf Widerspruch, denn schließlich spielten Tauben für den Menschen jahrtausendelang eine enorm wichtige Rolle. Als Brieftauben ermöglichten sie die Kommunikation über große Distanzen hinweg, weshalb ihnen auch nachgesagt wird, dass sie damit in Kriegszeiten abertausende Menschenleben retteten. Ein Wissenschaftshistoriker erinnerte an Charles Darwin, der wesentliche Teile seiner Evolutionstheorie entwickelte, als er Tauben studierte, was auf die Interdependenz aller Lebewesen hindeute. Eine Theologin verwies auf den biblischen Friedensschluss zwischen Gott und den Menschen nach der Sintflut und wertete die Ankunft dieses Mischwesens als Mahnung. Stünden wir etwa nicht vor Herausforderungen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellten? Und hätten all die Kriege, die wir als Menschheit in der Vergangenheit geführt hatten, etwa dazu geführt, dass wir daraus die richtigen Schlüsse gezogen haben? Ihre Worte hallten im Sitzungssaal nach, während sich die Rednerin setzte. Und ein anderer fügte hinzu: „Niemand, der im Feld steht, sehnt sich nach Krieg!“

Erläuterung der Geschichte
Diese Geschichte handelt von der Reise eines hybriden Vogelwesens aus einer fernen Zukunft in die heutige Gegenwart. Das Konzept der Zeitreise ist kombiniert mit der Idee eines Mischwesens aus einem Adler, dessen Knochengerüst zu einem Viertel aus Taubenknochen besteht – eine Verschmelzung von Stärke und Wandlungsfähigkeit, die gepaart ist mit einem Anklang an die Ikonografie der jeweiligen Art.

Adler werden dabei als edlere Art angesehen: Als Wappentiere stehen sie für die Stärke von Staaten und ihren Führungsanspruch. Tauben hingegen sind weniger aufregende Vögel. Scharenweise tummeln sie sich in Parks und Fußgängerzonen und hocken auf Stromkabeln. Historisch betrachtet haben Tauben jedoch eine enorm wichtige Rolle für den Menschen gespielt: mit ihrer Hilfe konnten Nachrichten über lange Strecken übermittelt werden, was in Kriegszeiten manchmal das Leben von tausenden Menschen rettete. Tauben spielten sowohl in der Bibel als auch für Charles Darwin für die Entwicklung seiner Evolutionstheorie eine essenzielle Rolle. Vergleicht man jedoch die jeweiligen Konnotationen der beiden Vogelarten, so könnten sie kaum weiter auseinander liegen, wodurch sie sich aber auch perfekt ergänzen.

Die eine Art assoziiert man mit Macht, Pracht und Mut, die andere steht für Frieden, Kommunikation und Anpassungsfähigkeit. Als Mischwesen vereinigt es unterschiedliche Merkmale und Eigenschaften miteinander, die aus unterschiedlichen Epochen der Zukunft stammen. Es ist weder Adler noch Taube, und doch gewissermaßen beides zugleich: Diese hybride Kreatur verkörpert damit das “Recht auf Undurchschaubarkeit”, das nach Édouard Glissant das fundamentalste aller Rechte überhaupt sei, nämlich das Recht nicht verstanden zu werden und so weder in die eine noch in die andere Kategorie zu passen. Definiert und kategorisiert werden zu können, bedeutet von den Herrschenden verstanden und akzeptiert zu werden. Undurchschaubar zu sein bedeutet hingegen einen Überfluss an Bedeutung zu haben, der sich dem Zugriff und der Kontrolle jeglicher Macht entzieht, indem er sie überschwemmt. Dazu sagt der Soziologe Pascal Gielen, dass ein undurchschaubares Wesen eben keine bedeutungslose Kategorie ist wie ein sinnentleertes Zeichen, sondern im Gegenteil mit Bedeutung überfüllt ist, da es mit all dem angehäuft ist, was aus den Monokulturen einer multikulturellen Welt herausfällt. Genau diese Teilmenge, diese Überlappung und Verschmelzung von unterschiedlichen Kreaturen, die einerseits für Stärke und Macht und andererseits für Frieden stehen, sollte die Zivilisation definieren, die sich auf die Stärken und Lehren der Vergangenheit stützt, während sie sich anpassungsfähig zeigt gegenüber den Aufgaben, die uns die Zukunft stellt.

Das knöcherne Erscheinungsbild des Vogels verweist auf ein Element aus der Geschichte und impliziert eine Verbundenheit mit ihr als eine widerständige Mahnung an das Verrinnen der Zeit. Der Zukunftsaspekt des Zeitreisens spiegelt sich im Material des Vogels wider, das an Androiden denken lässt, wobei der Schnee das Knochengerüst größtenteils bedeckt, als hinge Fleisch daran. Während üblicherweise bei traditionellen Denkmälern oder Skulpturen im öffentlichen Raum Schnee etwas ist, was sie verdeckt, unkenntlich macht oder manchmal sogar auf eine lächerliche Art entstellt, ist bei dem Vogel solch ein Naturschauspiel ein integraler Bestandteil der Skulptur. Vogelskelett und Schnee sind untrennbar miteinander verbunden. Darüber hinaus spielt dieser aus Raum und Zeit gefallene, von Schnee ummantelte Vogel auf mögliche Umweltereignisse der Zukunft an, wo Schneefall zwar nur noch selten auftritt, dann aber in bisher unbekanntem Ausmaß. Solch ein arktischer Wintereinbruch wird den Beginn der Zeitreise des Vogels markiert haben.
Das metallene Skelett, das auch einschüchternd wirken kann, ist als Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft zu sehen. Einerseits erinnern Knochen immer an Fossilien aus einer längst vergangenen Zeit, doch das Material spielt auf eine hochtechnisierte Zukunft an, wodurch auf das Kontinuum der Zeitlichkeit selbst angespielt wird. Die Aura des Bedrohlichen und Unheimlichen, welche das hybride Skelett umgibt, verweist auf die lange kunsthistorische Tradition, die Betrachtenden durch Kunst mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren, was in der Moderne auch in repräsentativen Bauwerken erfolgte. Als berühmtes Beispiel dafür gilt das Wandgemälde von Per Krohg, das Gräueltaten zeigt und im Sitzungssaal des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im UN-Hauptquartier in New York City hängt. In dem Kontext erlegt das Gemälde den in diesem Raum debattierenden Politiker*innen auf, eben solche Gräueltaten zu verhindern, die der Künstler darstellte. So entfaltet Kunst ihre Kraft, sowohl in der Darstellung der Abgründe der Menschheit als auch als Inspiration dafür, nach einer besseren, friedlicheren Zukunft zu streben.

Die fiktive Geschichte des Vogels soll dabei als Allegorie, Mythos oder Sage nicht in Konkurrenz treten zur aktuellen Heraldik des Adlers. Dennoch soll der hybride Vogel aus der Zukunft als Botschaft des Friedens und der Größe gelesen werden, die unsere heutigen Gesellschaften dazu anregen soll, auf eine nachhaltigere und harmonischere Form des Zusammenlebens hinzuarbeiten. Dabei nutzt Kunst nicht nur bestimmte Bildsprachen und

Vorstellungswelten, sondern produziert auch neue, um mit Simon Sheikh zu sprechen. Das hybride Vogelskelett ist solch eine poetisch kraftvolle Form, die sich der vorhandenen Bildsprache der Heraldik bedient und daraus einen möglichen Mythos der Zukunft schöpft. Gleichzeitig greift der Vogel die bereits am Horizont sich manifestierenden Widersprüche der Gegenwart auf.

Beurteilung durch das Preisgericht: Der Wettbewerbsbeitrag mit der Nummer 1553 „It Stood There Like a Daytime Cloud“ befasst sich mit der deutschen
Geschichte aus der Perspektive der Zukunft. Die knöchern-metallischen Überreste eines androiden Vogelwesens aus Adler und Taube sind verteilt über vier
Räume: Die Füße im Schaufenster der Cafeteria, der Kopf mit Hals am Protokolleingang, ein Bein an der Wand in der Eingangshalle und der Körper schließlich in der Wandelhalle. Zur weiteren Irritation sind die Fragmente mit Schnee bedeckt. Das seltsame Wesen löst vielfältige Assoziationen aus an staatliche Repräsentation, sie bietet eine kritische Sicht auf die deutsche Gegenwart sowie die Zukunft im Hinblick auf die Klimakrise. Die Jury hat sich einstimmig für Rang 1 dieser Arbeit entschieden. Sie sieht in dem Konzept eine außerordentlich hohe künstlerische Qualität auch in der Umsetzungsmöglichkeit
aus Malerei und digital produzierten Relief. Sehr genau werden die über das Gebäude verteilten Standorte durch die Fragmentierung zu einer narrativen
Einheit verbunden. In dem Werk offenbart sich eine intensive Auseinandersetzung mit der politischen Ikonografie und der deutschen Geschichte von Heinrich
Heines „Winterreise“ bis zur Verantwortlichkeit für die Zukunft. Die Jury würdigt zugleich, wie sich die Arbeit in die Architektur einschreibt. Die Komplexität der Inhalte, die Wahl der künstlerischen Mittel sowie die Präzision des Entwurfs haben die Jury vollständig überzeugt. Gleichwohl wird kontrovers diskutiert und kritisch hinterfragt, ob die Arbeit u.a. am Standort der Protokollvorfahrt einen angemessenen Empfang für Staatsgäste bieten kann.

Entwurf Flaka Haliti