Julian Charrière - "All Those Worlds Unearthed"
Konzept: Im Zentrum des Atriums offenbart sich ein scheinbar schwebendes Ensemble von Globen unterschiedlichster Größe, die sich über die ganze Höhe des Innenraums erstrecken. Die Himmelskörper ziehen die Betrachtenden durch Ihr Licht- und Schattenspiel in ihren Bann. Im Vorüberziehen leuchten gläserne Globen im Licht gelegentlich wie funkelnde Sterne auf. Dieser kosmopolitische Traumfänger lädt dazu ein, ihn aus den vielen verschiedenen Perspektiven zu begutachten, die sich von den unterschiedlichen Etagen und Brücken der Architektur bieten.
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das eigenartige Planetarium als Ensemble historischer Globen, die materialitär die Zeit vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart aufspannen. Die Geschichte dieser Globen schickt Betrachtende auf eine Reise durch Zeit und Raum – von höfischen Silberschmieden zu Astronomen bis hin zur seriellen Konsumkultur der Gegenwart; von Silber über Papiermaché und Holz bis zum ‚modernen‘ Acryl als universellem Gestaltungsmaterial; von Techniken der Gravur über die Zeichnung bis zum Lichtdruck.
Die Installation weist dabei über instrumentelle Formen einer Beherrschung des Wissens hinaus: es entsteht ein sphärisches Ensemble, das hier choreographisch im Raum steht und die festen Grundlagen unserer Existenz in einem Schwebezustand vorstellt. Das Politische und das Existentielle werden miteinander verwoben, konfrontiert, aneinander gespiegelt. Die Installation bedient sich der Ästhetik von Planetarien, allerdings stehen nicht die klaren kosmologischen Ordnungen und Ordnungssysteme der Vergangenheit im Zentrum – vielmehr bedeutet das zentral aufgehängte Ensemble selbst eine frappante und flirrende Negation von Zentralität. Es bietet ein dreidimensionales, holographisches ‚Weltbild‘, eher dekliniert durch
Pluralität und Multiplizität.
Die Weltkarten, welche die Globen als solche definierten, wurden abgeschliffen, bis alle politischen und geographischen Grenzen aufgelöst worden sind. Als kosmischer Staub der Dekaden setzen sie sich in malerischer Abstraktion am Boden unterhalb der Installation zu einer großen Zeichnung ab, deren Farben
an den blauen Planeten erinnern. Überdeckt von einer begehbaren Glasplatte, sind die Betrachtenden dazu eingeladen, eine Position inmitten dieses Staubes einzunehmen. Sandkörner unterschiedlichster Größe und Farbe einer uns unbekannten Wüste geben Hinweis auf den vorangegangenen Prozess: Sandproben
aller von den Vereinten Nationen anerkannten Nationalstaaten wurden gesammelt, um sie zu einem internationalen „Weltsand“ zu vermischen, der gleichermaßen Symbol für den mächtigen Erosionsapparat Erde selbst ist, dessen Kräfte keine politischen Grenzen kennen, gleichzeitig aber auch für die zunehmende Erosionskraft Mensch, deren Treiben einer globalisierten Weltwirtschaft das mineralische Profil unseres Planeten als Ware ausbeutet und die geologische Strata der irdischen Sanduhr aufmischt. Wie auf einer Leinwand werden portraithafte Profile dieses „Weltsandes“ auf einem Trägertextil fixiert, um ein internationales Sandpapier herzustellen, das schließlich von Menschenhand geführt alle nationalstaatlichen und geopolitischen Abgrenzungslogiken - gleich dem irdischen Material selbst – verwischt und auflöst.
Nationale Territorien fließen ein in eine gemeinsame globale Koexistenz, die hier insbesondere – mit Verweis auf die zunehmend politikrelevanten Horizonte des Anthropozäns – als eine planetare Koexistenz in Erscheinung tritt. Sichtbar wird ein dem common sense zur Seite stehender sense of planet (Ursula K.
Heise) – noch unbeschrieben, empfänglich für die ihn erkundenden Blicke und Assoziationen. Die auf der Oberfläche der Globen verbleibenden Spuren mögen Assoziationen an zeichnerische Schraffuren oder sogar klassische Pinselstriche wecken, allerdings sind diese durch Abrieb herbeigeführt und nicht durch den Auftrag von Zeichen, oder weiteren Aufschichtungen von Systemen der Signifikation – und Kontrolle.
Das Verfahren lässt die Körper der freigelegten, teils fast transparent erscheinenden Kugeln in einem ersten flüchtigen Blick wie Glasmurmeln erscheinen. Ein bildlicher Eindruck nicht unähnlich dem der ‚Blue Marble‘ Fotografie, eingefangen auf der NASA-Mission von 1967, Symbol eines neuen –auch ökologischen –Weltbildes, Inauguration eines alternativen, ebenso virtuellen wie hyperrealen ‘Globus’, der nicht nur auf die Perspektive der Astronauten verwies –sondern auch einer geo-technischen und hetero-ökologischen Zivilisation des kommenden Jahrunderts.
Scheinbar von den Gravitationskräften der Himmelskörper gezeichnet, bilden die Überreste dieser Schleifprozesse am Boden unterhalb der Installation ein abstraktes Sediment von kosmischer Farbenpracht. Die von Glasboden überdachte Basis der Installation mag an eine für Besuchende zugänglich gemachte
archäologische Ausgrabungsstatte erinnern, die einen Blick in die Vergangenheit offenbart. Der an japanische Stein-und Zengärten anmutende mineralisch-kristalline Kunstgarten aus Sand speist sich hier – gleich einer Sanduhr – aus dem Staub der Zeit, der vergangenen Imperien, und der Zeichensysteme der
alten Welt(en).
Wo William Blake noch vorschlug „Eine Welt zu sehn in dem Körnchen Sand“ (Auguries of Innocence), spiegeln sich hier vielfache Welten in einem neu versammelten Kosmos aus kristallinem Abrieb. Dieses Reservoir – Quelle und Ergebnis neuer Territorialisierungen –verweist dabei auf die liquide (Nicht-)
Territorialität von Sand, seine epistemisch, materielle, und mittlerweile auch geopolitisch prekäre Rolle und Stellung. Sand ist ein ausgezeichnetes symbolisches Geomedium der Gegenwart des Anthropozäns – Sand evozierte immer schon das Vergehen, das kleinteilige aber fatalistische Vergehen der Zivilisationen – in einer Art des ‚future remains‘.
All Those Worlds Unearthed erinnert uns daran, dass geopolitische Abbilder vielleicht vermögen vereinfachte Machtordnungen eines Gesterns abzubilden, jedoch nicht unsere dynamische Welt und die ihr zugrunde liegenden Prozesse. Die symbolische Freilegung von diesen geopolitischen Grenzen kann als Gewahrwerdung einer Destruktion, einer Abnutzung, eines globalen ‚Abriebs‘ im Sog der Moderne interpretiert werden. Sie konfrontiert uns mit der Frage, wieviele ‚Erden’ uns ‚zur Verfügung stehen‘; wie viele wir‚ verbrauchen‘ und besiedeln können. Gleichzeitig ermahnt sie uns, unser Denken und unsere Handlungen auf die uns bekannte Antwort auf diese durch die Installation präsent im Raum schwebende Frage auszurichten.
Unsere Umwelt - wie auch das Wirken unseres Handelns - kennen keine nationalstaatlichen Grenzen. Die Herausforderungen unserer Zeit sind zunehmend globaler Natur und können nur durch globale Zusammenarbeit bewältigt werden. Der erste Schritt dazu auf nationaler Ebene ist das Anerkennen der Pluralität
und folglich die Besinnung auf eine diese Pluralität berücksichtigende gemeinsame Zukunft auf - und im Einklang mit - unserem Planeten Erde. Wir stehen vor der Notwendigkeit einer Neu-und Selbstverortung des Menschen, wie auch unserer gesellschaftlichen und kulturellen Systeme. Hier an einem Ort parlam-
entarischer Demokratie, an dem nationale Politik formuliert wird, die unser aller Leben ordnet, müssen somit auch Fragen nach der Bedeutung eines planetaren Standpunktes ‚in den Raum gestellt‘ werden. In All Those Worlds Unearthed werden somit Kategorien wie ‚Heimat‘, ‚Nation‘ und ‚Erde‘ in ein planetarisches Kaleidoskop eingespeist in dem sie ihren Ort finden müssen.
Beurteilung durch das Preisgericht:
Der Entwurf „All those Worlds Unearthed“ nimmt die Unübersichtlichkeit unserer heutigen Welt zum Anlass für eine gleichermaßen poetische, wie prägnante Reflexion über eine Wirklichkeit, die keine Sicherheiten und Eindeutigkeiten mehr kennt. Mit 26 frei im Atrium schwebenden, unterschiedlich großen Globen, deren Oberflächen mit Sandpapier so weit abgeschliffen wurden, bis die Konturen der Kontinente verschwimmen und einem mit Glas abgedeckten Bodenbild, das ausschließlich ausen abgeschmirgelten Staubresten der Globen besteht, beschwört der Entwurf die Idee einer Realität, die sich von herrschenden Hegemonialstrukturen und dem Phantasma einer umfassenden Zentralität befreit hat. Dabei wird der Sand, mit dem das Schmirgelpapier hergestellt wird in einer gemeinschaftlichen Aktion mit den Botschaftern der 195 Länder gesammelt, mit denen die BRD diplomatische Kontakte unterhält. So entsteht in gewisser Weise ein mineralisches Profil unserer aktuellen geopolitischen Landkarte und zugleich eine Aufforderung an uns, die Welt neu und jenseits ihrer bisherigen Grenzen zu denken. Das Preisgericht würdigte insbesondere die Fähigkeit des Entwurfs, ein Bild dafür gefunden zu haben, mit dem sich die scheinbar festen Grundlagen unserer Existenz in einen Schwebezustand versetzen lassen. Auf diese Weise verwebt diese kosmisch anmutende Installation das Politische und das Existenzielle auf eine mustergültige Weise miteinander.
All Those Worlds Unearthed