Martin G. Schmid

Der Entwurf für die Amtsleitung stellt ein fast vollflächiges Wandbild dar. Man scheint sich in einem dichten Wald zu befinden. Auf der linken Seite ist in Augenhöhe der Text „ceci n‘est pas un tatort“ zu sehen. Im Wandbild wird auf besondere Weise die Idee des Waldes und des Tatorts verknüpft.

Wenngleich der zentraleuropäische Wald heute häufig nur noch einem Forst gleicht, ist er doch nach wie vor eine der zentralen Projektionsflächen und Phantasieorte für den Menschen. Dort ereigneten sich die Märchen, die Wunder, dort waren die Geheimnisse, die Schätze. Aber auch die Angst ist dort zu finden, das Unberechenbare, das Böse und das Verbrechen. Der Wald ist demnach häufig auch der Ort der kriminellen Tat. Wir nennen es Tatort.

Image

„Ceci n‘est pas une pipe“ heisst übersetzt „das hier ist keine Pfeife“. Es ist der Text auf dem Ölgemälde von 1929 „La trahison des images“ („Der Verrat der Bilder“) des französischen Künstlers René Magritte. Zudem sieht man über dem Text eine gemalte Pfeife. Man kann es so interpretieren, dass die abgebildete Pfeife keine wirkliche Pfeife ist. Hier wird der Abbildungscharakter von Bildern als Simulation offengelegt. Dieses vieldiskutierte Bild gilt als Vorläufer der Konzeptkunst.

Im Kolloquium zu diesem Wettbewerb gab es den Ausspruch der BKA-Mitarbeiterin: „...das BKA ist ja kein tatort...“ (hier wie im Logo klein geschrieben). Der Satz spielt auf die Fernsehserie tatort an . Seit 51 Jahren wird diese Krimiserie fast jeden Sonntag Abend gesendet. Nach wie vor wird der tatort stark rezipiert und hat sich tief verankert im gesellschaftlichen Bewusstsein - und kollektiven Unbewussten. Dass das BKA kein tatort sei, meint, dass die tatsächliche Polizeiarbeit des BKA wenig mit dem tatort zu tun hat. Trotzdem gibt es den sog. CSI-Effekt (CSI „Crime Scene Investigation“, übersetzt „Tatortermittlung“). Kriminelle werden durch Fernsehserien wie dem tatort zu einem bestimmten Vorgehen bei ihrer Tat angeleitet. Bezogen auf das Wandbild bedeutet der Satz „ceci n‘est pas un tatort“ daher einerseits, dass das BKA ganz anders funktioniert als es im tatort gezeigt wird. Andererseits gilt: Die Polizeiarbeit inspiriert nicht nur Regisseure des tatort. Sondern auch Taten von Kriminellen sind vom tatort inspiriert. Das Reale wird simuliert. Die Simulation wiederum wirkt zurück auf das Reale. Ähnliches kennt man auch aus dem Verhältnis von Wissenschaft und Science-Fiction.

Der als Digitalcollage (Erläuterung s.u.) ausgeführte Wald verweist auf die gegenwärtige Epoche der Digitalisierung, die auf viele Lebensbereiche Einfluss nimmt. Die Kriminalität rüstet digital massiv auf und Cyber-Crime ist bereits jetzt einer der wichtigsten Bereiche für das BKA - mit enormen Wachstumspotential. Cyber-Crime wiederum agiert im Wesentlichen mit digitaler Täuschung und Simulation (z.B. Phishing, Trojanisches Pferd usw.).

Image

Unten und rechts vom Waldbild kann man eine dünne, weisse Fläche erkennen. Das Bild, so die Behauptung, war zuvor exakt auf der Wandfläche. Doch dann scheint etwas geschehen zu sein, wodurch sich das Bild von seinem Grund nach rechts oben abgelöst hat, sodass die weisse Wand zum Vorschein kam. Bild und Bildträger sind nicht identisch. Auch hier wird auf die Simulationshaftigkeit von Bildern im Sinne von Magritte referenziert. Dieser weisse Bildrand wirkt zudem wie ein Rahmen, als ob das für den Betrachter sichtbare Bild nur der Teil eines viel grösseren Bildes wäre. Durch diese Setzungen wirkt das Bild trotz seiner Grösse beweglich und veränderlich.

Tiere im Wald sieht man nur, wenn man sich sehr ruhig verhält. Viele Tiere im Wald sieht man nur, wenn man nicht im Wald ist. Die Waldtiere im Bild sind klein. Aber sie sind alle da. Was eigentlich bedeutet, dass der Betrachter nicht da ist - sonst wären die Tiere nicht da. Dennoch schauen sie aus dem Bild genau auf den Betrachter. Hier enttarnt sich auch eine Simulation. Denn es stellt sich die Frage, ob ein Bild ohne Betrachter dasselbe ist wie mit diesem.

Auf vielen Ebenen (Wald als Konstruktion, Bild als Abbildung, CSI-Effekt, abgelöster Bildträger, Digitalität, Abwesenheit des Betrachters, Zeitirritation) hinterfragt das Bild kritisch, ob und inwiefern wir einer Simulation bzw. einer Täuschung ausgesetzt sind. Das Bild wird daher als eine Art Denkmaschine oder strukturelles Brain-Game für die Polizeiarbeit und ihre kritische Haltung beim Aufklären von Kriminalität wirken können. Die mannigfaltigen Denkfelder und Sichtweisen, die sich im Bild abspielen, können schier endlos immer neue Gedankenspiele entfachen. Man kann den Wald aber auch einfach sinnlich als Erholung auf sich wirken lassen. Beide Aspekte sind gerade im Bereich der Amtsleitung wichtig. Denn genau hier werden neue Konzepte und Perspektiven für das gesamte BKA entwickelt und gesteuert. Da das BKA in internationaler Zusammenarbeit steht, taucht der Satz „ceci n‘est pas un tatort“ bewusst als Fremdsprache im Bild auf.