Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

Stefan Sous - "UNDER CONSTRUCTION"

Konzept:

Im vertikalen Luftraum des Treppenauges ist ein Ausschnitt eines Baugerüsts installiert – jedoch nicht in gewohnter europäischer Ausführung, son-
dern als abstrahiertes Fragment eines asiatischen Bambusgerüsts. Dieses skulpturale Gerüst steht nicht in technischer Funktion, sondern als Sinnbild
für den Zustand des Wandels, der Transformation – als dauerhafte Zwischenform zwischen Konstruktion und Dekonstruktion.
Die Skulptur besteht aus in Aluminium abgegossenen Bambusrohren, die sich vertikal vom Erdgeschoss bis unter die Decke des obersten Geschosses erstrecken. Sie wird dort dauerhaft verankert und durch drei seitliche Querstreben stabilisiert. Der gewählte Materialabguss in silbergrauem Aluminium schafft einen bewussten Kontrast: Einerseits bleibt die skulpturale Konstruktion als Zitat eines funktionalen Baugerüsts erkennbar, andererseits erzeugen das abstrahierte Material und der Fragmentcharakter eine Loslösung von direkter Funktionalität.
Durch die leichten Biegungen und Verdrehungen der Bambusformen entsteht eine dynamische, fast organische Anmutung, die im Kontrast zur kubisch-funktionalen Architektur des Bestandsgebäudes steht.

Besonders charakteristisch sind die Verbindungen der einzelnen Stäbe: Anstelle industrieller Schellen, wie sie bei europäischen Stahlgerüsten üblich sind, werden die Knotenpunkte mit Tauwerk, Draht, Kunststoffbändern, Bast, Bambusfasern und z. T. mit hölzernen Knebeln gebunden, verzurrt und verschnürt. Diese Bindungen wirken auf den ersten Blick unorthodox, teilweise wild oder improvisiert – sind jedoch statisch hoch belastbar und funktional bewährt.
Diese Verbindungstechnik erzeugt ein ausdrucksstarkes Bild von Kontrolle im Ungeordneten, von Handwerklichkeit und situativem Erfindungsreichtum. Gleichzeitig verweist sie auf ein Bauverständnis, das mit wenigen Mitteln hohe Effizienz erzielt – ein Prinzip, das sich durchaus auch auf die administrativen Prozesse der Bauverwaltung übertragen lässt.

Die Arbeit versteht sich als vielschichtige Metapher auf das Tätigkeitsfeld der BImA. Die Bundesanstalt plant, baut, saniert, verwaltet – sie agiert auf vielen Ebenen im permanenten Modus des „Entwerfens und Entwickelns“. Der gewählte Titel „Under Construction“ verweist darauf doppeldeutig: Einerseits als Verweis auf das immer- währende Bauen und Erneuern, andererseits als Reflexion der Perspektive der Nutzenden – Mitarbeitende, Gäste, Eintretende –, die selbst Teil eines sich stets wandelnden Gefüges werden.
Die Installation bietet somit nicht nur eine künstlerische Intervention, sondern auch ein poetisches Spiegelbild institutioneller Praxis. Gleichzeitig verweist sie auf die internationale Offenheit der Institution: Das gewählte Motiv – das Bambusgerüst – ist ein kulturell anders konnotiertes Bauwerkzeug, das jedoch dieselbe Funktion erfüllt wie ein europäisches Stahlgerüst. In Asien finden sich auch hybride Bauformen – bei denen die unteren Geschosse mit Stahl eingerüstet werden, während im oberen Bereich das leichtere Bambussystem zum Einsatz kommt.
Diese Kombination aus Stabilität und Leichtigkeit, Rationalität und Improvisation, findet sich auch in der hier vorgeschlagenen Installation wieder – sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Bedeutungsebene.  

Die Skulptur ist so positioniert, dass sie keine Beeinträchtigung der Wegeführung oder Sichtlinien im Treppenhaus darstellt. Sie beginnt im Erdge-
schoss in sicherer Höhe über Kopfniveau und endet in der Decke des sechsten Obergeschosses.
Ihre Einbindung in den architektonischen Kontext ist bewusst gewählt: Der silbergraue Aluminiumkörper setzt sich klar vom blauen Hintergrund der
Treppenhauswände ab und nutzt diesen als ruhigen Fond.
Die vertikale Ausrichtung unterstützt die Lesbarkei der Arbeit als aufstrebendes Element – als Verbindung zwischen den Geschossen, als Klammer zwischen Funktionalität und ästhetischem Eingriff.

Die Arbeit lässt sich auch als strukturelles Skelett oder poetisches Gerüst lesen – als eine Art abstrakte „Anatomie des Bauens“. Sie verweist auf das
Temporäre im vermeintlich Dauerhaften und unterläuft den funktionalen Rhythmus der Architektur durch ein scheinbar zweckfreies, aber stark aufge-
ladenes Objekt. Der fragmentarische Charakter – nicht ganz Relikt, nicht ganz Skulptur, nicht ganz Funktionsträger schafft Raum für Assoziationen: vom Provisorium als Dauerzustand bis hin zur humanisierten, fast marionettenhaften Anmutung einer Konstruktion, die sich ihrer eigenen Metaphorik bewusst ist.

Beurteilung durch das Preisgericht:

UNDER CONSTRUCTION ist eine sich über 5 Stockwerke erstreckende, hängende Konstruktion aus Bambusrohren. In einem ersten Schritt sollen echte Baumbusrohre mit verschiedenen Bändern, Seilen oder Drähten zueinem fragilen Gerüst provisorisch zusammengebunden werden. Die gesamte Raumzeichnung wird dann im Aluminiumguss abgeformt und erhält so eine Dauerhaftigkeit und Festigkeit, die ihrer Anmutung und Enstehung eigentlich widerspricht. Im Ergebnis entsteht eine Mischung aus Mobile und Stabile. Die frei im Raum schwebende Konstruktion stellt eigentlich ein Tragwerk dar, das dazu geeignet wäre, Lasten aufzunehmen und bekommt trotz ihres Gewichts als Metallguss eine große Leichtigkeit. Im Kontrast zu der materialbetonten Architektur des Treppenhauses wirkt die skulpturale Einlassung eher organisch, leicht, gewachsen, oder wir der Titel schon sagt: under construction. Die Bambuskonstruktion erschließt in ihrer geradezu archaischen Bauweise, eher experimentell -Schritt für Schritt- den Raum und wirkt ein wenig wie das Skelett oder die Wirbelsäule des umgebenden Treppenaufgangs. Damit wird auch das Bauen an sich thematisiert. Die Natur als Lehrmeisterin der Architektur und das Bauen als eine der ältesten, die Menschheitsgeschichte begleitende Kulturtechnik. Das Gerüst von UNDER CONSTRUTION wirkt provisorisch, anpassungsfähig, erweiterbar. Die Form wird scheinbar direkt vor unseren Augen erst entwickelt. Sie folgt keinem vorgängigen Plan, sondern verdankt sich unmittelbaren Setzungen, die sparsam und effizient die Kräftelinien aufnehmen und verbinden. Ein ‚begreifendes‘, prozessuales Verstehen von Form und Material. Als Raumgeste hat UNDER CONSTRUCTION einen poetischen und spielerischen Charakter. Das Treppenhaus selbst bleibt in seiner Gestalt unberührt, wird aber durch den gestalterischen Kontrapost in seiner Wirkung gestärkt und ergänzt.

Die Jury hebt besonders die raffinierte Technik des Abguss-Verfahrens mittels ‚Verlorener Form‘, die schlüssige, unprätentiöse formale Gestaltung und die präzise Planung hervor. Mit UNDER CONSTRUCTION wird zudem auf eine poetische und lapidare Weise das Wesen und die Intelligenz des Bauens selbst thematisiert und exemplifiziert.

Stefan Sous Fasanenstraße

Visualisierung: Stefan Sous