Tim Trantenroth - "Wohnungsfrage"
Konzept:
1. Konzept
Das Projekt „Wohnungsfrage“ thematisiert ein aktuelles gesellschaftliches Problem: den Mangel an angemessenem, bezahlbarem Wohnraum in Großstädten. Die Wandmalerei macht dieses Thema räumlich erfahrbar und schlägt eine Brücke zwischen Architekturgeschichte und Gegenwart.
Über die 12 Friesflächen im Foyer sowie die angrenzenden Treppenhauswände ziehen sich lineare Farbzeichnungen. Sie laufen über Wände, Säulen und Gänge hinweg, spielen mit optischen Täuschungen und öffnen die Räume perspektivisch. Je nach Blickwinkel entstehen schlüssige architektonische Bilder. Transparente Farbschichten und rhythmische Pinselstrukturen schaffen Atmosphäre, Tiefe und Leichtigkeit.
2. Motive
Die Bildthemen spiegeln prägnante Beispiele des Wohnungsbaus und erzählen eine Geschichte vom frühen 20. Jahrhundert bis in die Zukunft:
Friese 1–3: Einfamilienhäuser; Meisterhäuser Dessau (reduzierte Bauhausarchitektur); Kanzlerbungalow Bonn (Sep Ruf).
Friese 4–5: Wohnungsbau der 70er/80er Jahre in Ost-Berlin (z. B. Leipziger Straße, Hohenschönhausen).
Friese 6–10: Mischung von Wohnungsbauten aus Ost- und West-Berlin, ausgebreitet über mehrere Ebenen und Wände.
Friese 11–12: Wohnungsbau Wilmersdorf, ergänzt durch eine „Horizontlinie für die Zukunft“.
Treppenhäuser:
D1 (Blickrichtung Südwesten): Hansaviertel (Niemeyer, Eiermann), Lindenstraße Kreuzberg – Beispiele für geförderten und sozialen Wohnungsbau.
D2 (Blickrichtung Nordwesten): Plattenbauten verschiedener Generationen in Ost-Berlin´als Symbol für öffentlichen Wohnungsbau.
So entsteht ein Panorama, das Wohnungsbaugeschichte und gesellschaftliche Fragen miteinander verbindet.
3. Thematische Einbettung
Die „Wohnungsfrage“ ist ein Begriff mit langer Tradition, bereits im 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung diskutiert, heute jedoch aktueller denn je.051270 Die Wohnfläche pro Kopf hat sich im letzten Jahrhundert vervielfacht (von 10–15 m² um 1900 auf heute etwa 48 m²). Dennoch bleibt bezahlbarer Wohnraum knapp. Architektur ist damit nicht nur ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklung, sondern auch Motor von Veränderung, positiv wie negativ.
Die Wandmalerei greift diese Ambivalenz auf: Sie macht die Geschichte des Bauens sichtbar und lädt dazu ein, über die Zukunft des Wohnens nachzudenken.
“We shape our buildings; thereafter, they shape us.” — Winston Churchill
„Wir formen unsere Gebäude, danach formen sie uns.“ – Winston Churchill
Beurteilung durch das Preisgericht:
Die Wandarbeit Wohnungsfrage projeziert in das zweigeschossige Foyer des historischen Baus der Jebensstraße unterschiedliche Bau- und Fassadenformen des modernen Bauens im 20. Jahrhundert. Der Entwurf gestaltet nicht nur das Foyer, sondern auch die beiden angrenzenden Treppenräume und erzeugt so ein zentrales „Eingangsmotiv“, das sich wie eine Folie über die Wände des historischen Interieurs legt. Die Arbeit nimmt explizit Bezug auf die Aufgaben der BImA. Sie schafft ein großes Bild des öffentlichen Bauens, konzentriert auf den Bereich von Wohnhaus- und Wohnungsbau. Mit Schemen aus der Architektur des Bauhaus und dem Wohnungsbau der 1960er bis 80er Jahre in BRD und DDR, prototypischen Fassaden, die aus dem Hansa-Viertel, dem Plattenbau, dem Siedlungsbau, dem öffentlichen und dem sozial geförderten Wohnungsbau stammen, werden Typologien und Prototypen von modernem Bauen zitiert, deren Wirklichkeit wir in den deutschen Städten erleben. Wir sehen dabei die strichhaften Versprechen dieser Gebäude, Wunsch- und Idealbilder auf dem weißen Papier, die wir speziell in der Vorstellung des eigenen Daseins mit persönlicher Emotion wahrnehmen.
Die Arbeit operiert mit dem Duktus der Zeichnung, mit gouacheartigen, pastellenen, gold oder silbern eingelegten Farbflächen formt die Wandmalerei den Typus moderner Architekturzeichnungen nach, vergrößert und verräumlicht sie. Die Arbeit fügt sich in die restaurierte Innenarchitektur und ihre Farbigkeit ein. Sie ist insofern nicht laut, stellt aber dennoch das historische öffentliche Gebäude deutlich sichtbar in die Geschichte. Sie zeigt dessen Umwidmung für die heutigen Inhalte. Die Arbeit nimmt die Tradition von Wandmalerei in modernen Bauten auf, insofern ein gesellschaftsvisionä-res Motiv des Malens, das mit den dargestellten Prototypen des modernen Bauens selbst verbunden ist. Zugleich erinnert die Arbeit auch an die malerische Darstellung des Modernismus in Architektur und Stadt, die sowohl in der BRD als auch in der DDR in den 1970er und 80er Jahren ein wichtiges Motiv des malerischen Realismus war. Diese Arbeit wurde intensiv diskutiert in der Fragestellung, ob sie vielleicht nur zurückblickt oder doch tatsächlich – mit ihren Projektionen von architektonischer Vision – jene Zukunftsperspektive erleuchtet, die sie in ihrer These verspricht. Dann würde sie eine Neubetrachtung und Wertschätzung des Bestands illustrieren, die nach vielen Jahrzehnten des ressourcenverschlin-genden Neubauens ein Zukunftsauftrag der BImA geworden ist.
Visualisierung: Tim Trantenroth