A. Knobloch & U. Vorkoeper

schwedische Gardinen  missing icons 

Beim Eintritt ins Foyer des Bundeskriminalamts fallen die beiden raumhohen, lichten Stores aus Streckmetall vor der streng gerasterten Fensterfront sofort ins Auge. Ihr silbrig schimmernder Hochglanz widerspricht ihrer derangierten Form: Sie tragen Spuren von vielfachen Krafteinwir-kungen und hängen verbogen, verbeult, zerknickt und verzogen von der Decke. Die „Schwedischen Gardinen“ wirken gleichermaßen wie Schattenrisse im Gegenlicht vor den Fenstern und, von oben beleuchtet, wie modellierte Reliefs im Raum.

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Die vielfachen Deformationen versetzen die beiden Aluminiumelemente innerlich in Bewegung. Sie krümmen und biegen sich frei hängend in den Raum. Darüber hinaus sind sie tatsächlich beweg-lich. Beide laufen jeweils auf einer eigenen Schiene über eine Länge von 10,30 m zwischen Ein-gang und Galerie, d.h. sie können vor der Fensterfront wie Stores hin- und her geschoben werden. Es sind beliebig viele Konstellationen und Korrespondenzen zum umgebenden Raum möglich. Schiebt man die Elemente übereinander, entstehen immer dort, wo sie sich überlagern, Moiré-Effekte. Und überlagern sie sich gänzlich, dann verschmelzen die leichten Reliefs visuell zu einer einzigen, verwirrenden und fast undurchsichtigen Form.

Weil schwedisches Eisen lange Zeit als besonders hochwertig galt, kam zu Beginn des 20. Jahrhun-derts die umgangssprachliche Redewendung von den „schwedischen Gardinen“ auf, hinter die Verbrecher von der Polizei gebracht werden. Die verharmlosend spaßhafte Bezeichnung der Gitterstäbe als Gardine, weil diese zum einen durchsichtig, zum anderen undurchdringlich sind, steht für Gefangenschaft und ein zentrales Aufgabenfeld der Polizei: die Festsetzung derjenigen, die die Sicherheit und Freiheit der Gesellschaft bedrohen. Die paradoxe Metapher begleitete die Auseinandersetzung mit dem Ort und den zentralen Aufgabenbereichen des BKA: Abwehr von Gefahren, Strafverfolgung und Schutz von Personen wie Gesellschaft.

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Angesichts der komplexen Bedrohungslagen sowie der hohen Anforderungen an die Bundes-kriminalpolizei wurden die „schwedischen Gardinen“ dann zum Auslöser einer Arbeit, die auf den ersten Blick amüsiert, dabei trifft und verstört. Die Raumreliefs sind faktisch metallene Gardinen, die vor Fenstern hängen. Sie verschleiern den Blick, aber sie können zur Seite geschoben werden, der Blick ist wieder frei. Allerdings sind sie darüber hinaus auch noch versehrt. Die teilweise heftigen Durchlöcherungen und Faltungen lassen sie wie zu klein geratene Schutzschilde anmuten, die von außen oder innen vielfach angegriffen wurden (und werden).

Vielleicht spielte schon die spöttische Redewendung auf die moderne Vorstellung vom Strafvollzug an, der mit Ausblick auf die wiederzuerlangende Freiheit angelegt ist? Mit der wortwörtlichen Übertragung der deformierten Gardinen ins Bundeskriminalamt wird jedenfalls die Idee der ein-fachen oder gültigen Aufteilung der Welt, ob in sichere und unsichere Zonen, ob in Gut und Böse, bildhaft aufgehoben. Sie lassen auf beiden Seiten, Innen wie Außen, unsichere und ungesicherte Zonen entstehen, die Blick- und Perspektivverschiebungen einfordern.

Passend dazu locken die „Schwedischen Gardinen“ mit vielfältigen ästhetischen Reizen: Sie schwingen zwischen Raum und Fläche, wölben sich vor und springen zurück, sie schillern, schim-mern und reflektieren. Ihre innere Bewegtheit korrespondiert mit ihrer tatsächlichen Beweglichkeit. Durch sie ist ein Spielraum für diejenigen eröffnet, die tagtäglich an der ihnen zugeeigneten Kunst am Bau vorübergehen. Er kann genutzt werden, muss es aber nicht. Denn die Aluminium-Stores sind in jeder Position sinnfällig und vertragen es durchaus, wenn sie nur aus rein pragmatischen Gründen – z.B. zum Fensterputzen –verschoben werden.