A. Knobloch & U. Vorkoeper

Zusammenhalt missing icons 

Von unsichtbaren Kräften gehalten und untereinander verbunden, schweben Bruchstücke aus Keramik vor den Wänden gegenüber der beiden Besprechungsräume, die an der Magistrale des zukünftigen Bundes-kriminalamts liegen. Die Scherben zeigen zwei unterschiedliche Bruchmuster: Das erste Relief ist eine sanft gewölbte Fläche, die durch äußeren Druck zwar aufgebrochen, aber in sich eng verhaftet und verkantet erscheint. Das zweite Relief befindet sich in stärkerer Auflösung. Die gewölbte, der Wand vorgebaute Fläche, scheint durch große Kraft auseinander gedrückt worden zu sein. Die Scherben wirken leicht, ihr Zusammenhalt ist fragil, aber gerade noch hinreichend, damit das Gebilde nicht auseinanderfällt. 

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Die Druckkräfte, die die Bruchbilder erzeugt haben, bedingen zugleich ihre verschwenderische Schönheit, die sich besonders im Seitenlicht aus dem Verbindungsgang zeigt. Die Bruchkanten leuchten hell im Licht. Die organisch unregelmäßigen, weißen Oberflächen und die verschiedenen Neigungen der Bruchstücke bewirken ein facettenreiches Licht- und Schattenspiel, das entspannt von gegenüber, von den Bänken an den Besprechungsräumen aus angesehen werden kann. Im Vorübergehen faszinieren die schwebenden Scherbenbilder durch ihr Changieren zwischen zwei und drei Dimensionen und die sich verschiebenden Hell-Dunkel-Relationen.

Wenn eine mechanische Kraft auf eine Fläche oder einen Stoff einwirkt, kommt es zu reversiblen oder irreversiblen Umformungen. Ist der Stoff duktil, also i.w.S. bieg- oder dehnbar, dann bewirkt die Kraft seine Deformation. Gold zum Beispiel hat eine derart hohe Duktiliät, dass es sich hauchdünn zu Blattgold aus-walzen lässt. Ist ein Stoff zudem elastisch, dann ist die Deformation reversibel, d.h. beim Wegfall der Kraft kehrt er in seine Ausgangsform zurück. Je härter dagegen ein Stoff ist, desto weniger kann er deformiert werden und desto spröder ist er. Dem theoretischen Ideal eines gänzlich starren, unzerstörbaren Körpers stehen die realen Körper entgegen. Eine mechanische Kraft oder eine hohe Belastung verformt sie zunächst nicht, aber sie halten diesem Druck, abhängig von ihrer Stärke, immer nur bis zu einem gewissen Grad Stand. Dann zerbrechen sie. Ihr Verformungswiderstand führt zur Zerstörung.

Die Schale des Hühnereis kann als Beispiel für die geniale Kombination beider Eigenschaften gelten. Die Schale selbst ist zwar dünn, sichtbar fragil, doch zugleich ist sie hart und bis zu einem gewissen Grad belastbar. Sie ist spröde, aber sie wird durch eine innenliegende, elastische Doppelmembran zusätzlich gestützt. Sie bildet eine Schutzschicht um das Ei, die sich nicht verformen lässt und bei Kraftanwendung zerbricht, aber beim Brechen hält die innenliegende Membran die Bruchstücke zusammen. 

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Die vorangehende Beschreibung der Auswirkungen mechanischer Kräfte auf Stoffe und Körper lässt sich metonymisch für die wechselnden Vorstellungen über Polizei und die Erwartungen an Polizei, die bisweilen mit den Dienstaufgaben kollidierenden, sowie mit den Erfahrungen im Polizeidienst lesen. So wie die Vorstellung von der Polizei als monolithischer Block, der durch seine innere Geschlossenheit Härte und (Verformungs-)Widerstand gegen äußeren Druck zeigt, in den Jahrzehnten nach dem 3. Reich selbst-verständlich in die Kritik geraten ist, führt die gegenteilige Vorstellung von einer sanft nachgiebigen, „elastischen“ Polizei zu Konflikten nicht nur mit den Aufgaben der Exekutive, sondern auch zu einer geschwächten Stellung gegenüber denjenigen, die gegen Gesetze verstoßen und/oder Gewalt anwenden.

Die Ansprüche an die Polizei sind heute widersprüchlicher als jemals zuvor. Auf der einen Seite soll sie durchaus entschieden und hart durchgreifen, wenn es um unbekannte Gefahren, extremistische Gefährder*innen und persönliche Bedrohungslagen geht. Auf der anderen Seite verfolgen sowohl Medien als auch Politik die Polizeiarbeit überaus wachsam und die Gesellschaft reagiert hochsensibel auf Gewalteinsatz oder Abweichungen von politisch korrektem Verhalten.

Die beiden Keramikreliefs „Zusammenhalt“ antworten auf diese komplexe Situation. Sie lassen sich als Allegorien für die ambivalenten Auswirkungen der konträren Spannungen und Kräfte lesen, die auf die Polizei einwirken und die Friktionen hinterlassen, ohne aber das Gefüge als Ganzes aufzubrechen. Sie lassen sich zudem als Metaphern für die Zerrissenheit zwischen Zuschreibungen, Ansprüchen und einer unbe-rechenbaren Wirklichkeit lesen, welche die einzelnen Beamt*innen in ihrem Berufsalltag durchleben. Ihre Verkopplung von Bruch und Halt stimmt optimistisch und ihr ästhetischer Reiz wirkt stimulierend.