realities:united - studio for art and architecture - Jan Edler und Tim Edler GbR, Berlin - "Permanente Erinnerung"
Konzept: BESCHREIBUNG
Das Kunstwerk besteht aus einer horizontalen farbigen Betonschicht, die im Zuge der Rohbauherstellung in die beiden Betonkerne des Gebäudes hineingebracht wird. Diese „Kunstschicht“ oder „Farbschicht“ besteht wiederum aus zwei Schichten farbigen Betons und hat eine leicht variable Höhe zwischen 100 bis 140 cm. Sie bildet eine sichtbare Fläche von etwa 110 qm bis 160 qm2. Die Farbschicht ist im Lichthof erkennbar, hier vor allem auf der großen „Atriumwand“. Aufgrund ihrer Höhenlage ist die Farbschicht außerdem in allen Fluren und Räumen des 1.OG sichtbar, wo der Sichtbeton zutage tritt. Die Farbschicht liegt hier so, dass sie „ungefähr“ eine horizontale Ebene bildet, welche die beiden Betonkerne durchdringt. Über die Gesamtausdehnung durch beide Kerne hindurch variiert die Farbschicht in ihrer Stärke, der Höhe und der Höhenproportion der inneren Farbschichten. Die Gesamt-Höhenlage der Farbschicht ist über beide Kerne hinweg in einer leichten und langen Wellenbewegung und variiert um bis zu 0,5 Meter in der Höhe. Zusätzlich sind in der Farbschicht Wellen, Beulen und Asymmetrien mit geringerer Länge und Amplitude enthalten. Entsprechend variiert der Abstand des unteren und oberen Rands der Farbschicht gegenüber den Raum gebenden Kanten des Gebäudes (Boden, Decke, Türstürze usw.). Die Farbschicht ist innerhalb der Betonwände nicht graphisch (als klare Linie) oder architektonisch (als Bauteil/Fuge) abgegrenzt. Stattdessen ist die Ausbildung der Grenze bzw. des Übergangs unregelmäßig und erkennbar von dem Herstellungsprozess geprägt. Dabei werden die farbigen Betonschichten auf die mehr oder weniger eben geschüttete Lage darunter aufgegossen und bilden jeweils ihrerseits wieder eine leicht raue und unebene Unterlage für die darüber folgende Betonschicht. Das Erscheinungsbild ist durch diese Art der Herstellung geprägt. Alle Formparameter sind dadurch in leichter Unschärfe bzw. Bewegung: die Höhenlage und Stärke der Farbschicht bzw. die Stärke ihrer inneren Schichten und das Detail des Schichtübergangs.
UNMITTELBARE WIRKUNG
Die unmittelbare Wirkung der Arbeit entsteht durch ihre deutliche Farberscheinung und außerdem durch ihre spezielle horizontal das Gebäude
durchdringende Figur. Ein weiterer wesentlicher Wirkungsaspekt besteht in der erheblichen Größe bzw. Ausdehnung der Figur. Weil die Arbeit die beiden
zentralen Gebäudekerne vollständig durchdringt, entsteht innerhalb des Gebäudes ein relativ großer Bereich, in dem der Eingriff zutage tritt und erfahrbar
ist. Im 1. OG, welches sie durchdringt, erscheint der Eingriff an vielen Orten, ist hier fast ubiquitär. Außer in den Fluren wird die Farbschicht hier auch in den
Innenräumen der beiden Kerne sichtbar sein. Hier werden zufällige und „überraschende“ Blitzer entstehen, z.B. dort, wo die Farbschicht in Lücken
zwischen Einrichtungsgegenständen hervorscheint. Neben dem 1.OG ist das über alle Geschosse reichende Atrium der zweite Raumbereich, wo die Arbeit sichtbar sein wird. Während der Sichtabstand zur Farbschicht in den Fluren und Räumen des 1.OG meist gering ist, entfaltet sie hier auch eine größere Fernwirkung bzw. Raumwirkung. Weil die Farbschicht ungefähr auf der halben Höhe das Gebäude durchdringt, erzeugt die Anordnung der Farblinie, die hier horizontal und zentral auf der großen Wand des Atriums liegt, den Eindruck einer Komposition bzw. eines „Bildes“. Dadurch wirkt es hier zunächst so, als wenn hier so etwas, wie das Zentrum der künstlerischen Arbeit läge. Je vertrauter die Nutzer:innen mit dem Gebäude werden, desto stärker dürfte aber ihr Eindruck dahingehend korrigiert werden, dass diese Arbeit in Wirklichkeit keinen räumlichen Fokus hat, sondern - ganz im Gegenteil - das Gebäude völlig homogen und unterschiedslos durchdringt. Abgesehen vom Atrium, wo die Farbschicht auch aus größeren Distanzen sichtbar ist, ist die Wahrnehmung in den anderen Räumen dadurch geprägt, dass man der Arbeit, bzw. den „Materialwechseln“ in den Betonwänden sehr nahe kommt. Auf diesen kurzen Distanzen spielen also die subtilen Details eine größere Rolle. Abgesehen von der Farbigkeit wird die abweichende Oberflächenbeschaffenheit der Farbschicht erkennbar, (Rauheit, Lichtreflektion, Poren, Risse). Auch die körnig mäandernden Arbeitsfugen zwischen den Betonlagen sind auf diese Distanz deutlich erkennbar. Diese direkte und sichtbare Materialität spielt eine wichtige Rolle für die Wahrnehmung, dass die Farbschicht nicht nur ein Farbauftrag ist, sondern ein das Volumen des Betonkörpers durchdringender Materialwechsel.
MITTELBARE WIRKUNG
Für die mittelbare Wirkung der Kunstarbeit spielt ihre ungewöhnliche Positionierung eine Rolle. Das ist einerseits die Positionierung der Farbschicht
innerhalb des Gebäudes und es ist im weiteren Sinn die Positionierung der Kunst gegenüber der Architektur und gegenüber dem Herstellungsprozess des Gebäudes in den sie in einer umfassenden Weise integriert ist. Die Arbeit setzt starke aber rätselhafte Akzente und sendet Signale in verschiedene Richtungen. Wie kommt diese Farbschicht in den Rohbau? Welche Botschaft ist damit verbunden. Kann es überhaupt eine Botschaft geben, die aus der Vergangenheit und der erstarrten Gesteinsschicht über diese größtmögliche zeitliche Distanz in die Gegenwart wirkt? Und natürlich: Ist das überhaupt (noch) Kunst? Was bedeutet „permanente Erinnerung“; an was wird erinnert; bzw. woran sollen wir uns erinnern? Ein offensichtlicher und wesentlicher Aspekt dieser Arbeit ist es, dass sie Fragen provoziert und widersprüchliche Signale aussendet, dass sie Erwartungen unterläuft und Grenzen und Normen nicht respektiert. Dadurch wird sie einerseits frei und grandios und berührt und durchdringt buchstäblich alles, und setzt sich über alle Grenzen und Normen hinweg. Umgekehrt bedeutet der konsequente Einschluss der Kunst in den Rohbau aber auch eine Einengung, setzt enge Grenzen für die Ausdrucksfähigkeit und vor allem für die konkrete Botschaft dieser Kunst. Dadurch entzieht und entfernt sich die Arbeit. Sie wird unantastbar aber auch bezugslos und einsam, wie sie in ihrer fernen Zeit- und Raumschicht für immer vor sich hinschweigt. Ein radikales und gigantisches aber auch schwaches und zweifelhaftes Zeichen. Diese im wörtlichen Sinne Vermengung von Kunst und Architektur, Gebäude und Skulptur provoziert auch, weil damit die übliche Ordnung nicht eingehalten wird. Kunst am Bau ist meist ein hinzugefügtes Ereignis oder sie bildet - klassisch - eine Schicht vor dem Bauwerk. In beiden Fällen agiert sie in gewisser Weise frei und vor
der Architektur, aber sie liegt niemals als tote Gesteinsschicht im Rohbau. Wir glauben, dass der Zweifel den die Arbeit in sich trägt, wertvoll ist. Die Arbeit kann daran erinnern, dass (speziell wissenschaftliche) Erkenntnisse und unser Daseinskonzept eine Konstruktion aus der Interpretation von Spuren und
Informationen ist. Die Änderung der Interpretation durch neue Sichtweisen auf bereits Bekanntes oder durch das Auftauchen und anschließende Einordnen neuer Erkenntnisse ist essentiell für den Erkenntnisprozess. In das Gebäude, in dem solche Erkenntnisarbeit stattfindet wird mit der Farbschicht ein Einfluss eingeschrieben, der für immer unerklärlich bleibt. Die Diffusion der Kunst in die Architektur, die Thematisierung einer tiefen Schicht,bzw. die Erinnerung an etwas, was wir vergessen haben oder die Ahnung der Dinge, die wir noch nicht verstehen, öffnet assoziative Resonanzräume. Das sind vielleicht naheliegende Assoziationsräume: Die Schichtung des Bodens und die Idee davon, was dort entgegen dem Eindruck statischer und ewiger Schichtung an symbiotischen Austauschen vor sich geht. Oder Erdzeitalter die gesetzmäßig aufeinander zu folgen scheinen und doch immer wieder rätseln lassen. Die kambrische Explosion. Oder die neue Unordnung durch das Anthropozän, was das Schichtungskonzept aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durcheinanderzuwirbeln droht. Abstrakter: Erkenntnisse die in Schichten lagern, ein Bild für das unverwüstliche Bemühen eine Ordnung zu finden und zu bewahren. Oder noch abstrakter: ein Bild für das Prinzip der „Störung“, Divergenz und Disruption an sich: Ein Denkmal für die unerklärliche plötzliche Änderung die es immer braucht, damit etwas lebendig wird oder damit ein Entwicklungsschritt möglich wird oder damit wir einen Erkenntnisschritt gehen können.Eine Erinnerung an die sichtbare oder unsichtbare aber letztlich rätselhafte Ursache, die das Geheimnis des Universums und des Lebens ist.
Beurteilung durch das Preisgericht:
Das Kunstwerk besteht aus einem circa einen Meter breiten, durchgefärbten, horizontalen Betonstreifen, in dem sich zwei Farben wie Erdschichten übereinander legen. Der Streifen soll auf Augenhöhe um das Atrium und einen angrenzenden Flur des Institutsneubaus laufen, so dass der farbige Beton zwei geschlossene Kreisläufe bildet. Entgegen der strengen Linien der Architektur verlaufen die Streifen organisch in einer ganz leichten Biegung. Schon während des Bauprozesses soll diese Schicht in das Wandwerk integriert werden. Sie wirkt in das Gebäude hinein, ist sein Bestandteil. Die Arbeit überzeugt durch ihre radikale Konsequenz. Der malerische Gestus eines geschwinden Strichs wird ins Monumentale überführt und zur Architektur selbst. Gleichsam erhält das Material, der gefärbte Beton, eine gewisse Eigenständigkeit. Die Assoziation mit den Erdschichten stellt auch einen Bezug zur Tätigkeit des Julius Kühn-Instituts her. Auch am JKI wird mit Erde und Erdschichten gearbeitet. Das Kunstwerk ist reduziert, minimalistisch, nicht aufgesetzt, es erklärt nicht, sondern ist einfach präsent. Es wirkt ins Gebäude hinein und bringt es gleichsam durch seine organischen Formen ins Wanken. Der rote erdige Farbton hält der dominanten schwarzen Treppe formal stand. Es ist der einzige Wettbewerbsentwurf, der über das Treppenatrium hinausgeht und sich auf einen weiteren Flur erstreckt. Nachteilig ist, dass die Ausführung ein gewisses Risiko birgt, das sich auch auf den sonstigen Bauprozess auswirken kann. [Der jetzige Entwurf definiert zudem die Farbe der entstehenden Betonschicht nicht richtig.]
Visualisierung: realities:united - studio for art and architecture