Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

Thorsten Goldberg - "Ohne Titel"

Konzept: Das dreigeschossige Atrium bildet den Auftakt und das Zentrum des neuen Laborgebäudes, es erlaubt Sichtbeziehungen über alle Etagen, hier kreuzen sich die Laufwege der Mitarbeiter, es ist ein Ort der Begegnungen und Raum für Veranstaltungen. Der Raum wird bestimmt durch die elliptischen
Treppenfigur mit geschlossener Stahlbrüstung und die flankierende Atriumwand mit Struktur der Brettschalung über alle drei Geschosse und die Öffnung des Raumes nach oben durch seine Oberlichter.

Vorschlag:
Wir schlagen vor, auf der großen Atriumwand ein Fotomotiv eines etwa eine Generation jüngeren Zeitgenossen von Julius Kühn aus etwa der Bauzeit der historischen Gebäude als Fotogravur über die gesamte Höhe der Wand auszuführen. Es ist die Schwarz-weiß Fotografie „Cucurbita. Kürbisranke in 4 facher Vergrößerung” des Bildhauers und Professors Karl Blossfeldt: Ein kantiger, kräftiger, aufrechter Stamm verzweigt sich an seinem oberen Ende abrupt in drei schlanke Arme, die sich Halt-suchend, spiralförmig um sich selbst und um den Stamm, aus dem sie herauswachsen, winden. Ein weiterer Arm schlängelt sich von unten kommend am Stamm vorbei und wickelt sich viele Male in der Luft.
Mit der Einbringung einer Pflanzen-Fotografie von Karl Blossfeldt in das Laborgebäude des Julius Kühn-Instituts werden zwei bedeutende, systematisch forschende Positionen – eine wissenschaftliche und eine künstlerische – in eine Beziehung zueinander gebracht.
Julius Kühn: der Agrarwissenschaftler und wegweisende Gestalter des landwirtschaftlichen Universitätsstudiums mit seinem außergewöhnlichen Gespür für praktische Abläufe, seinen unermüdlichen, über viele Jahre dauernden Untersuchungen vertrat die Auffassung, dass die praktische Erfahrung die Grundlage für die gesamte Landwirtschaftswissenschaft sein müsse. Ein Gegensatz zwischen Wissenschaft und Praxis existierte für ihn nicht. „Das höchste wissenschaftliche Ziel ist das praktische Ziel … Unsere Aufgabe ist der Nutzen.“ Mit seinem1858 veröffentlichten Buch „Die Krankheiten der Kulturgewächse, ihre Ursachen und ihre Verhütung” wurde Kühn der eigentliche Begründer der modernen Pflanzenpathologie. Als programmatisch gilt der als Anhang angegliederte Beitrag „Das Mikroskop als Hausgeräth des Landwirthes."
Karl Blossfeldt: dessen Pflanzenaufnahmen nicht nur das Kunstschaffen seiner Zeit beeinflussten – sein erstes Buch „Urformen der Kunst“ erschien 1928 im Ernst Wasmuth Verlag und gelangte durch den Berliner Kunsthändler und Galeristen Karl Nierendorf zu großer Bekanntheit – sondern auch die Tradition der typologischen Photographie und des vergleichenden Sehens begründete. Als gelernter Bildhauer unterrichtete er ab 1899 das neu gegründete Fach „Modellieren nach lebenden Pflanzen” an der Unterrichtsanstalt des Königlichen Kunstgewerbemuseums Berlin (später als ordentlicher Professor an den Vorgängerinstitutionen der heutigen UdK). Um für die Studierenden Vorlagen zum Modellieren zu schaffen, setzte er systematisch Fotografien von Pflanzen zu Unterrichtszwecken ein. Dabei ging es ihm um die Struktur der Pflanzen, ihren organischen Aufbau, ihre „aus Zweckmäßigkeit geborene höchste künstlerische Form“, die er durch seinen streng sachlichen, fast zeichnerischen Aufnahmestil sichtbar und vergleichbar machte. Blossfeldt lebte in der Stephanstraße in Steglitz und sammelte sein Pflanzenmaterial selbst an Feldwegen und Bahndämmen; teilweise erhielt er es auch aus den damals neu gegründeten Forschungs- und Sammlungseinrichtungen des Botanischen Gartens und der benachbarten Institute, wie der Kaiserlichen Biologischen Anstalt für Land- und Forstwirtschaft in der Königin-Luise-Straße, dem heutigen Sitz des Julius Kühn-Instituts in Dahlem.
Die eine Position wissenschaftlich, die andere künstlerisch, beruhen beide auf systematischer, detail- genauer Betrachtung der Natur (hier die Mikroskopie, dort die Kamera), auf Sachlichkeit und Zweckdienlichkeit. Auch die besondere Wertschätzung der praktischen Erfahrung und der praktischen Anwendung und der unermüdliche Einsatz dafür in der Lehre und ebenso in der eigenen Forschung sind beiden Methoden und Haltungen gleichermaßen zu eigen.
Deshalb steht die Abbildung der Kürbisranke im neuen Laborgebäude des Instituts auch nicht für die Künstler-Person Karl Blossfeldt, sondern stellvertretend für die beschriebene Haltung zu Forschung an und über die Natur und führt darüber die Bereiche der bildenden Kunst und der Wissenschaft zusammen.
„Urformen der Kunst – gewiß. Was kann das aber anderes heißen als Urformen der Natur? Formen also, die niemals ein bloßes Vorbild der Kunst, sondern von Beginn an als Urformen in allem Geschaffenen am Werke waren. Im übrigen muß es dem nüchternsten Betrachter zu denken geben, wie hier die Vergrößerung des Großen – z. B. der Pflanze oder ihrer Knospe oder des Blattes – in so ganz andere Formenreiche hineinführt, wie die des Kleinen, etwa der Pflanzenzelle im Mikroskop." Walter Benjamin in „Neues von Blumen” 1928 Rezension zu Karl Blossfeldt „Urformen der Kunst”.
Vom Boden bis in die dritte Etage reichend, hat das Pflanzenmotiv auf der Wand vergleichbare Ausmaße wie die frei im Raum stehende, elliptisch gewendelte Treppe. Es assoziiert eine Kalligraphie, wird den Mitarbeitern des Instituts aber als rankende Pflanze bekannt sein. Wie ein Schatten nimmt die Ranke die sich windende Bewegung der Treppe auf und setzt sie flächig auf der Wand um. Es entsteht ein Dialog oder ein Ringen und Winden der beiden großen ornamenthaften Formen miteinander.
Das Motiv soll als Fotogravur mit dem Guss in die Sichtbetonwand eingearbeitet werden; d.h. es besteht aus einem Raster von diagonalen, vertieften Linien in den Beton. Damit fügt die Kunst dem Bau nichts hinzu – im Gegenteil nimmt sie noch Masse weg.
Das Motiv der Kürbisranke wird sich in der umgebenden Struktur der Brettschalung klar darstellen, soll den Raum aber nicht dominieren oder monumental werden. Es wird im Ton der übrigen Betonwand bleiben und durch den Lichteinfall von oben durch die Oberlichter sichtbar. Damit ergibt sich ein spannendes Wechselspiel der Strukturen im Beton. Die vertieften Linien bilden dünne Schattenfugen, die sich im Laufe des Tages kontinuierlich verändern. Auch veränderte Betrachtungswinkel – Vorbeigehen, die Treppe aufsteigen – ergeben unterschiedliche Kontraste in der diagonalen Schraffur und laden zur Interaktion ein.

Beurteilung durch das Preisgericht:

Der Entwurf besticht durch seine klare, raumgreifende Geste und stellt das Detail einer Fotografie des Bildhauers und Professors für „Modellieren nach lebenden Pflanzen“ Karl Blossfeldt (1886 - 1935) in den Mittelpunkt. Das Motiv „Curcubita, Kürbisranke in einer 4-fachen Vergrößerung“ wird in Form eines Wandreliefs mit unterschiedlich breiten und tiefen Linien in den vorhandenen Sichtbeton eingelassen, wobei die Struktur der rauen Brettschalung unterbrochen wird. Durch den Lichteinfall dürfte sich ein spannendes Wechselspiel mit der rauen Oberfläche des Sichtbetons ergeben. Der signethafte Charakter der Arbeit verleiht dem JKI ein starkes identifikatorisches Element und stellt Bezüge zwischen der agrarwissenschaftlichen Arbeit der Forscher vor Ort und der Kunst und insbesondere der typologischen Fotografie her. Die Arbeit antwortet auf die räumlichen Gegebenheiten des Foyers mit der skulptural wirkenden Treppe, in dem sie diese in einer 2-dimensionalen Ornamentik spiegelt. Blossfelds Qualität, Natur konstruktiv zu lesen, wird damit nochmals bestärkt und der Bogen zur wissenschaftlichen Leistung von Julius Kühn als Pionier der modernen Pflanzenforschung geschlagen. Darüber hinaus wird eine schlüssige lokale Verbindung hergestellt, da Blossfeldt, der in Berlin Steglitz wohnte, unter anderem auf dem Gelände des heutigen JKI sein Pflanzenmaterial sammelte. 

Thorsten Goldberg JKI Entwurf

Visualisierung: Thorsten Goldberg